Der Berliner Flughafen ist eine logische Folge schlechter Ausschreibungen und miserabler Entscheidungen im Einkauf. Jeder, der an öffentliche Auftraggeber verkauft, wird vermutlich verstehen, was ich meine. Dieser Artikel zielt darauf ab, eine gute Handlungsgrundlage für Sie zu liefern, wenn Sie es mit öffentlichen Auftraggebern zu tun haben. Sie bekommen einige Hinweise, wann Sie was tun sollten, aber auch, woran Sie erkennen, dass sich noch nicht einmal ein Angebot lohnt.


Dieser Beitrag ist entstanden, weil Sie danach gefragt haben. Selbstverständlich nicht jeder von Ihnen, aber ein ganz bestimmter Leser hat sich dieses Thema gewünscht. Wenn auch Sie eine konkrete Frage zu Akquisition, Preisverhandlungen, Abschlusstechniken, Gesprächsführung, Angeboten oder Präsentationen haben, dann schreiben Sie diese ganz einfach ins Kommentarfeld. Ich werde mich bemühen, Ihre Frage so schnell wie möglich zu beantworten. Sollte es etwas ausführlicher werden, so wie in diesem Fall, plane ich dazu auch gerne einen eigenen Beitrag und Sie lesen die Antwort dann etwas später in diesem Blog.

Die Angst vor Bestechung und Vorteilsnahme verändert alles

Der Leser fragte Folgendes: „Wie verkauft man an öffentliche Auftraggeber? Hier haben wir das Problem, dass sich die Entscheider aus Compliance-Gründen oft nicht äußern wollen, sodass man auf teilweise dürftige Ausschreibungsunterlagen angewiesen ist, in denen weder die gewünschte Leistung genau beschrieben, noch ein Budget vorgegeben wird. Wenn dann die Entscheider noch aus unterschiedlichen Institutionen stammen, die zudem unterschiedliche Interessen und eigene ‚Buddys‘ haben, dann wird’s manchmal ein Lottospiel. Außer gutem ‚Networking‘ und Renommee-Aufbau über Veröffentlichungen fällt mir nichts ein.“

Die Antwort auf diese Frage ist ziemlich umfangreich. Vielleicht ist es sogar ein ganzes Konzept, wie man am besten mit öffentlichen Auftraggebern umgeht. Vermutlich wird Ihnen so manche Idee in diesem Artikel nicht besonders gut gefallen. Das hängt damit zusammen, dass  bei meiner Vorgehensweise vor allem zwei wesentliche Unterschiede gegenüber den üblichen Handlungswegen erkennbar sind. Diese beiden Unterschiede lassen sich am besten durch folgende zentrale Thesen erklären:

1. Wenn die Ausschreibung auf dem Tisch liegt, ist es mit dem Verkaufen zumeist vorbei.

2. Wenn eine Ausschreibung vorliegt, wird lediglich nach dem günstigsten Anbieter gesucht, der ein klar umrissenes Angebot liefern kann. Daher ist es in den meisten Fällen nicht möglich, auf ehrliche Weise einen akzeptablen Gewinn mit solchen Aufträgen zu machen. Beschäftigen wir uns zunächst mit der ersten These:

Verkaufen vor der Ausschreibung

Gehen wir einmal in die Denkweise eines Kunden hinein, der eine Ausschreibung verfasst. Diese kann nur gelingen, wenn man bereits eine relativ klare Vorstellung von dem hat, was man haben möchte. Der Kunde muss in der Lage sein, das zu liefernde Produkt oder die zu liefernde Dienstleistung, vielleicht sogar das zu liefernde Projekt, präzise anhand seiner Leistungsdaten zu beschreiben.

In vielen Fällen wird es so laufen, dass der Kunde bereits eine ganz bestimmte Lösung im Kopf hat. Er weiß schon ziemlich genau, was er will, weil er einen ganz bestimmten Anbieter präferiert. Jetzt geht es lediglich darum, zu prüfen, ob es auf dem Markt noch andere Anbieter gibt, die ein vergleichbares Produkt oder eine vergleichbare Dienstleistung liefern und dabei die gleichen minimalen Leistungsanforderungen erfüllen, aber günstiger sind als der ursprünglich entdeckte Anbieter.

Clevere Anbieter, die gute Beziehungen zu verschiedenen Personen der öffentlichen Hand haben, verkaufen ihr Produkt deshalb völlig legal bereits vor der Ausschreibung. Das bedeutet, dass sie die Anforderungen für das später zu beschaffende Produkt beziehungsweise die Dienstleistung so beschreiben, dass auf dem Markt ausschließlich das eigene Produkt oder das eigene Dienstleistungspaket passt. Wenn das klappt, dann kann auch eine Ausschreibung nicht verhindern, dass der ursprünglich aktive Verkäufer die Ausschreibung gewinnt, weil es schlicht nichts gibt, das sonst auf die Ausschreibung passt.

Wenn es Ihnen gelingt, eine ähnliche Leistung zu vollbringen, bevor die eigentliche Ausschreibung versendet wird, dann hat das viel mit Verkaufen zu tun. Wenn Sie lediglich warten, bis eine Ausschreibung Sie erreicht, können Sie nur noch reagieren. Das führt uns zur Erklärung der zweiten These:

Wenn eine Ausschreibung vorliegt, geht es nur um den Preis.

Lassen Sie mich das ein wenig ausführlicher erklären. Wir hatten bereits in einem früheren Beitrag dieses Blogs über Vertriebsstrategie gesprochen. Dabei ging es mir um die Frage, wie man unterschiedliche Geschäftsmodelle mit der dazu passenden Vertriebsstrategie verbinden kann. Die Unterscheidung zwischen unterschiedlichen Geschäftsfeldern kann anhand zwei einfacher Fragestellungen bewerkstelligt werden:

  1. Hat der Kunde viel oder wenig Know-how angesichts der bevorstehenden Beschaffung?
  2. Hat der Kunde viel oder wenig Wechselbereitschaft zwischen unterschiedlichen Lieferanten?

Ich denke, dass man bei Ausschreibungen klar sagen kann, dass der Kunde per Definition ganz genau weiß, was er will. Das hat er schließlich Wort für Wort in seinen komplexen Darstellungen in der Ausschreibung eindeutig bestimmt. Auch die zweite Frage lässt sich klar beantworten, denn die Ausschreibung geht ja nicht nur an einen Anbieter, sondern wird der Natur der Ausschreibung folgend an möglichst viele unterschiedliche geeignete Lieferanten verteilt. Das Wesen der Ausschreibung bringt außerdem mit sich, dass durch die Ausschreibung eine gewisse Gleichberechtigung der möglichen Lieferanten hergestellt ist und eben keine Präferenz für einen Lieferanten besteht. Das bedeutet in der logischen Folge, dass ein Kunde, der eine öffentliche Ausschreibung macht, erstens denkt, dass er weiß, was er will, und zweitens keine Präferenz für einen Lieferanten haben darf. Daraus ergibt sich das Geschäftsfeld „Verkaufen nach einfachen Muster“ mit der Strategie „niedrigster Preis“. Wenn Sie den ausführlichen Hintergrund noch einmal genauer nachlesen wollen, können Sie das in den Beiträgen 045 und Verkaufsstrategie tun.

Diese Vorgehensweise, genau zu beschreiben, was man will, und dann den günstigsten Anbieter zu suchen, klappt hervorragend bei einfachen Produkten. Wenn eine Behörde etwa das Kopierpapier für die kommenden Monate einkaufen will, dürfte dieses Einkaufsverfahren auf jeden Fall zu einem sehr guten Ergebnis führen. Allerdings verhält es sich völlig anders, wenn man mit einem komplexen Gewerk oder Projekt arbeitet. Jetzt entsteht die wesentliche Schwierigkeit, dass die genaue Beschreibung dessen, was man will, eben nicht trivial ist. Nehmen wir als Beispiel berühmte Chaos-Projekte wie den Berliner Flughafen, die Elbphilharmonie oder den Stuttgarter Bahnhof. An diesen Beispielen lässt sich ganz einfach zeigen, dass die Beschreibung des gewünschten Endzustands in der Amtssprache eben nicht einfach ist. Nach den Buchstaben des Gesetzes gelingt es Anbietern zwar immer wieder, ein passendes und auch sehr günstiges Angebot abzugeben, dieses erfüllt jedoch in vielen Fällen im Endeffekt nicht seinen Zweck. Es ist dem Verfahren der Ausschreibung geschuldet, dass der günstigere Anbieter den Zuschlag bekommt, obwohl vielleicht schon zu erahnen ist, dass sein Gewerk oder seine Teilleistung nicht den gewünschten Erfolg erzielen wird. Dadurch ergeben sich dann so abenteuerliche Geschichten wie ein völlig falsches Brandschutzkonzept in einem Flughafen oder eine um Zehnerpotenzen falsch kalkulierte Kostenstruktur für Gebäude wie die Hamburger Philharmonie oder den Stuttgarter Bahnhof.

Meiner Ansicht nach wird sich das Verfahren „Ausschreibung“ im Zusammenhang mit komplexen Projekten auf Dauer nicht mehr durchsetzen können. Die Historie der fehlgeschlagenen Projekte ist lang; vermutlich sogar noch viel länger als uns in der Öffentlichkeit bekannt ist. Kein Privatmann käme jemals auf die Idee, sich einem Ausschreibungsverlauf zu unterwerfen. Es mag ja sinnvoll sein, sich verschiedene Angebote einzuholen. Aber schon vorher festzulegen, dass man auf jeden Fall den günstigsten Anbieter wählen wird, der die Auflagen erfüllt, ist schlicht dumm. Der Grund dafür: Es wird in der Regel nicht gelingen, bei komplexen Projekten eine schlüssige und lückenlose Beschreibung des gewünschten Zustandes und der dazugehörigen Qualitätskriterien aufzuschreiben.

Fünf Tipps zum Umgang mit öffentlichen Auftraggebern:

1. Am besten nur bei Ausschreibungen mitmachen, die man selbst mit initiiert hat. Wenn das gelingt, wird man vermutlich eine außergewöhnlich hohe Gewinnsquote von Ausschreibungen vorweisen können. Wenn man selbst derjenige war, der die Vorstellung für die Ausschreibung beim Kunden platziert hat, dann wird man in den meisten Fällen gewinnen können.

2. Bei zufälligem Empfang der Ausschreibung: Wenn die Ausschreibung zufällig auf Ihrem Tisch landet, waren Sie offenbar nicht der Initiator. Wenn es sich um ein einfaches, klar umrissenes Produkt handelt, so wie in meinem Beispiel Kopierpapier, dann machen Sie den besten Preis, den Sie machen wollen, geben das Angebot ab und hoffen auf den Auftrag. Mehr können Sie jetzt ohnehin nicht tun.

Falls die Anfrage eher Projekt-Charakter hat oder ein komplexes Produkt betrifft, lohnt es sich nachzufragen und zu versuchen, den Entscheider zu finden, um dann zu ermitteln, was genau gebraucht wird. Nur wenn dieses Gespräch zustande kommt und Sie verstehen, worum es wirklich geht, lohnt sich in der Regel der Aufwand, ein Angebot zu erstellen. Falls der Kontakt nicht klappt, können Sie noch immer den dritten Weg einschlagen.

3. Verunsichern. Stellen Sie die Wirksamkeit der Ausschreibung offiziell in Frage. Schreiben Sie an einen Verantwortlichen. Informieren Sie den potenziellen Entscheider, etwa den Leiter der Behörde, über Ihre Zweifel, dass die Ausschreibung einen guten Anbieter ermitteln wird. Stellen Sie die These auf, dass damit vermutlich das Pendant zum BER Flughafen heraufbeschwört wird. Dann abwarten. Vielleicht bekommen Sie jetzt Ihren Dialog mit dem Entscheider.

4. Müll. Werfen Sie die Ausschreibungsunterlagen weg und fangen Sie etwas Sinnvolles mit Ihrer Zeit an.

Diese Empfehlung beruht auf dem Prinzip, dass es ohne Zugang zum Entscheider nur eine vage Vorstellung vom Problem, dem Schmerz und dem erhofften Nutzen geben kann. Wenn Sie diese Informationen nicht haben, können Sie ohnehin nicht sinnvoll agieren.

Fokussieren Sie sich also darauf, diesen Zugang zu bekommen, steigern Sie bei Misserfolg die Intensität Ihrer Intervention und akzeptieren Sie schließlich das tote Pferd, wenn es absolut nicht gelingen will.