So verbreitet Ausschreibungen im Vertrieb auch sein mögen, so oft führen sie zu Frust und schlechten Entscheidungen – und zwar bei allen Beteiligten. In diesem Blogbeitrag erfahren sie, weshalb Ausschreibungen häufig keine gute Idee sind und wir klären, welche Strategien es Anbietern erleichtern, mit ihnen umzugehen.
Theorie und Praxis: Wie Ausschreibungen den Vertriebsalltag beeinflussen
Ausschreibungen sind ein wesentlicher Bestandteil der Vertriebsarbeit und laufen in einer perfekten Welt wie folgt ab:
Der potenzielle Kunde hat eine klare Vorstellung davon, was er benötigt, und schickt seine Ausschreibung an mehrere potenzielle Lieferanten. Auf diese Weise gestaltet er einen Wettbewerb, und kann bei maximaler Kontrolle über Bedürfnis, Budget und Zeitplan den günstigsten Anbieter auswählen. Gleichzeitig bekommen die verschiedenen Anbieter, bei denen die Ausschreibung eingeht, die Möglichkeit, bei gleichen Voraussetzungen ihre Fähigkeiten zu demonstrieren.
Soweit die Theorie – in der Praxis sieht der Umgang mit Ausschreibungen allerdings oft deutlich weniger vielversprechend aus.
Klarheit? Fehlanzeige? Vielen Ausschreibungen fehlt eine solide Basis
Bevor wir uns im Detail ansehen, welche Folgen Ausschreibungen für Anbieter und Kunden haben können, möchte ich Sie einladen, über folgenden Punkt nachzudenken.
Die Grundannahme einer jeden Ausschreibung lautet aus Kundensicht wie folgt:
Ich weiß, was ich will, UND ich suche einen beliebigen Lieferanten, der die vorgegebene Qualität zum besten Preis liefert.
Was bedeutet das im Umkehrschluss? Ganz klar: Wenn ich NICHT weiß, was ich will, dann geht es nicht. Ist dann die Ausschreibung ein Versuch ein kostenloses Konzept zu klauen?
Fakt ist, dass viele Kunden – auch ohne explizit unmoralische Absichten – viel zu wenig Klarheit darüber haben, was sie tatsächlich wollen und brauchen, als dass eine Ausschreibung wirklich Sinn machen würden. Gerade bei komplexen Projekten wird es in der Regel nicht gelingen, eine schlüssige und lückenlose Beschreibung des gewünschten Zustandes und der dazugehörigen Qualitätskriterien aufzuschreiben. In der Folge muss im Anschluss an die Ausschreibung oft unter einem enormen Zeitaufwand für viel Geld nachgebessert werden.
Ausschreibungen aus Kundensicht: Günstig kann schnell teuer werden
Ausschreibungen sind dann sinnvoll, wenn es um den Erwerb simpler und vergleichbarer Artikel wie z. B. Büromaterial geht. In diesem Fall hat sich das Verfahren bewährt. Wenn eine Behörde für mehrere Monate Kopierpapier benötigt, wird sie mit Ausschreibungen wahrscheinlich ein ausgezeichnetes Ergebnis erzielen. Die Verantwortlichen können genau angeben, wie viele Packungen sie in welcher Qualität benötigen und sich dann entspannt zurücklehnen, während die verschiedenen Anbieter sich gegenseitig im Preis unterbieten.
Wenn es jedoch um komplizierte Projekte geht, sind die Voraussetzungen völlig andere. Hier gilt: Je komplexer die Aufgabenstellung, umso größer ist die Gefahr, dass die in der Ausschreibung formulierten Anforderungen nicht ihren Zweck erfüllen. Welche Folgen das haben kann, weiß jeder, der in den vergangenen Jahren hin und wieder die Nachrichten eingeschaltet und die Ereignisse rund um Großprojekte wie den Berliner Flughafen, die Hamburger Elbphilharmonie oder den Stuttgarter Bahnhof verfolgt hat. Trotz formal korrekter Ausschreibungen ist in diesen Fällen schnell klargeworden, dass die technische Machbarkeit des Gewünschten und die erforderlichen Maßnahmen nicht ausreichend berücksichtigt wurde. Die Folgen : ein fehlerhaftes Brandschutzkonzept, falsch kalkulierte Kostenstrukturen, teure Rechtsstreitigkeiten, monate- oder gar jahrelange Verzögerungen beim Bau und natürlich jede Menge Häme.
Die Moral der Geschichte? Ja, es mag sinnvoll sein, sich verschiedene Angebote einzuholen. Aber bei komplexen Projekten schon vorher festzulegen, dass man auf jeden Fall den günstigsten Anbieter wählen wird, ist grob fahrlässig.
Verabschieden Sie sich deshalb bitte von dem Gedanken, beim Erstellen der Ausschreibungsunterlagen alle Eventualitäten einkalkulieren zu können. Dafür warten hinterher erfahrungsgemäß zu viele Fallstricke auf dem Weg zum Ziel. Und eines ist sicher: Der vermeintlich günstigste Gewinner der Ausschreibung wird potenziell notwendige Änderungen später teuer nachberechnen.
Ausschreibungen aus Anbietersicht: Wollen Sie wirklich als Spaltenfutter enden?
In der Theorie bringt das Wesen einer Ausschreibung die Tatsache mit sich, dass eine gewisse Gleichberechtigung der möglichen Lieferanten hergestellt ist und eben keine Präferenz für einen Anbieter besteht.
Tatsächlich können Sie aber davon ausgehen, dass der Initiator einer Ausschreibung bereits einen geprüften Anbieter im Hinterkopf hat, wenn diese ungefragt auf Ihrem Tisch landet. Und dieser Anbieter sind höchstwahrscheinlich nicht Sie!
Für den Kunden ergibt sich aus diesem Umstand ein wesentlicher Vorteil: Er hat eine solide Grundlage für seine Anfrage, denn er weiß, dass sie in jedem Fall von mindestens einem Unternehmen beantwortet wird. Ihm geht es nur noch darum, den bestmöglichen Preis für die angebotene Leistung zu ermitteln. Seine Ausschreibung dient also in erster Linie dazu, die Angebote verschiedener Anbieter zu vergleichen. Am Ende bekommt einer den Zuschlag – alle anderen Teilnehmer enden als Spaltenfutter.
In der Praxis können Sie sich das Phänomen des Spaltenfutters wie folgt vorstellen: Der Initiator der Ausschreibung legt sich eine klassische Vergleichstabelle mit mehreren Spalten an. In diese Spalten werden sämtliche Anbieter, die auf die Ausschreibung reagieren, einsortiert. Mögliche Kriterien sind etwa Produktqualität, Produktpreis, Servicekosten und Gesamtkosten, einschließlich Garantie- und Nebenleistungen.
Der Anbieter, der als erstes geprüft wurde, befindet sich in der Spalte ganz links und ist höchstwahrscheinlich die erste Wahl. Alle anderen Anbieter werden ab Spalte zwei einsortiert. Wenn Sie die gleiche Leistung wie Anbieter Nummer 1 bereitstellen, aber nicht günstiger sind, ist Ihr Schicksal klar: Sie dienen lediglich dazu, die Spalten der Vergleichstabelle des Kunden zu füllen.
Als Anbieter bedeutet das für Sie, dass Sie genau auswählen sollten, auf welche Ausschreibungen Sie antworten und auf welche nicht. Mindestens ebenso wichtig: Sie benötigen eine klare Strategie. Andernfalls besteht die Gefahr, dass Sie unnötig wertvolle Ressourcen verbrennen.
Vier Strategien, wie Anbieter mit Ausschreibungen umgehen können
Eines steht fest: Wenn die Ausschreibung auf dem Tisch liegt, ist es mit dem Verkaufen vorbei. Alles, was zählt, ist der günstigste Preis. Für Sie als Anbieter bedeutet das, dass Sie Ihre Hoffnung auf eine angemessene Gewinnspanne in den Wind schießen können. Zu diesem Zeitpunkt geht es für Sie nur noch darum, ob Sie sich trotzdem die Mühe machen wollen, Ihren Hut mit einem klar umrissenen Angebot ins Rennen zu werfen oder nicht.
Grundsätzlich gibt es vier verschiedene Strategien, mit Ausschreibungen umzugehen.
Strategie 1: Preisführerschaft
Die Strategie der Preisführerschaft kann eine effektive Strategie für all jene Unternehmen sein, die es sich leisten können, mit extrem dünnen Gewinnmargen zu wirtschaften. Für die meisten Anbieter wird sich der Versuch, den Wettbewerb beim Preis zu unterbieten, allerdings nicht auszahlen.
Viele Unternehmer, die sich für die Strategie der Preisführerschaft entscheiden, spekulieren deshalb auf die Zukunft und hoffen, später im laufenden Projekt noch zusätzliche Geschäftsmöglichkeiten zu realisieren.
Strategie 2: Ablehnung
Sie müssen nicht um jeden Preis ein Spiel mitspielen, bei dem Sie nicht gewinnen können. Wenn Sie eine Ausschreibung auf den Tisch gelegt bekommen, bei deren Entstehung Sie in keiner Weise beteiligt waren, dürfen Sie sich bewusst dagegen entscheiden, Aufwand in ein Angebot zu investieren. In den meisten Fällen wird es ohnehin sinnvoller sein, sich auf andere Verkaufschancen zu konzentrieren.
Strategie 3: Sympathie
Wenn Sie eine Ausschreibung erhalten, sind damit bisweilen strenge Formvorschriften zur Kontaktaufnahme mit dem späteren Auftraggeber verbunden. So soll vermieden werden, dass Sie sich Vorteile verschaffen, indem Sie Beziehungen zu dem anfragenden Unternehmen aufbauen oder ausnutzen. Entsprechend bewegen sich Verkäufer, die aktiv Kontakt aufnehmen, um sich beim Kunden als sympathischer Ansprechpartner zu positionieren, auf einem schmalen Grat. Zu Recht sind die Compliance Regeln sehr streng, wenn es darum geht, Beziehungen durch kleine Gefälligkeiten oder Geschenke zu untermauern. Achten Sie deshalb darauf, dass Sie bei dieser Strategie keine Rechtsverletzungen begehen.
Strategie 4: Verwirrung stiften
Es gibt Ausschreibungen, aus denen nicht klar hervorgeht, was der Kunde eigentlich will. Solche Ausschreibungen erscheinen verworren oder zumindest nicht dazu geeignet, das eigentliche Problem des Kunden lösen. In diesen Fällen sind aktive Verkäufer manchmal in der Lage, ein Gespräch mit dem Entscheider zu initiieren und Verwirrung zu stiften. Anstatt brav Ja und Amen zu sagen, stellen sie die Ausschreibung infrage und entwickeln stattdessen gemeinsam mit dem Kunden ein anderes Konzept. Dieser Ansatz funktioniert in der Regel vor allem dann, wenn sich der Ansprechpartner selbst nicht zu 100 Prozent sicher ist, wie der richtige Weg aussehen kann. In diesem Fall könnte es sein, dass er den aktiv auf ihn zugehenden Anbieter als Experten akzeptiert und sich von ihm einen anderen Vorschlag unterbreiten lässt.
Welche der genannten Strategien in welchen Fällen für Sie die richtige ist, bleibt Ihnen überlassen. In jedem Fall haben Sie als Verkäufer die Wahl, ob Sie sich für einen passiven oder aktiven Ansatz entscheiden wollen. Während manche Vertriebsorganisationen besser damit bedient sind, die Ausschreibung direkt in den Papierkorb zu befördern und sich vielversprechenderen Kunden zu widmen, lohnt sich für andere die Mühe, das System mit einem Gesprächstermin beim Entscheider aufzubrechen.
Auswahl oder Entscheidung? So vermeiden Sie die Risiken von Ausschreibungen
Wenn Sie sich Kleidung kaufen, treffen Sie dann eine Entscheidung für das erste Angebot, das Ihre Anforderung erfüllt? Oder haben Sie Freude daran, alle möglichen Angebote zu prüfen und zu bewerten – vielleicht sogar ohne am Ende eine Entscheidung zu treffen?
Große Organisationen mit komplexen Regeln und Vorschriften entwickeln bisweilen bizarre Rituale. Sie konzentrieren sich auf die Mechanismen eines Auswahlprozesses. Dabei gehen sie davon aus, dass die Anbieter sich gezwungen sehen, mitzumachen. Sie übersehen diese Risiken:
- Die Prozesskosten der Ausschreibung übersteigen die Kosteneinsparung, die sich durch den Anbietervergleich ergibt.
- Anbieter nutzen Tricks, um ihr Produkt oder ihre Dienstleistung günstig anzubieten und später durch kostenpflichtige Änderungen mehr zu erlösen.
- Professionelle Anbieter verweigern sich infantilen Bewerbungsvorschriften.
Vor diesem Hintergrund kann es in den meisten Fällen sinnvoller sein, gleich eine Entscheidung für einen Anbieter zu treffen, der die Anforderungen erfüllt, anstatt das Ritual des Auswahlprozesses zu durchlaufen. Die erhofften Einsparungen werden durch die Kosten der Ausschreibung und die „Kosten des Wartens“ ohnehin fast immer mehr als aufgezehrt.
Vielleicht sollten professionelle Unternehmen deshalb in vielen Fällen auf Ausschreibungen verzichten und professionelle Anbieter sollten sich weigern, unsinnige Bieterregeln zu erfüllen. Ganz nach dem Motto: Gesunder Menschenverstand statt infantiler Vergleichsprozesse. Die Geschäftswelt wäre sicherlich ein besserer Ort.
Hinterlasse einen Kommentar