Viele Vertriebsorganisationen sind darauf ausgerichtet, dass Anfragen beantwortet werden. Eine besondere Form der Anfrage ist eine Ausschreibung, die eine formalisierte Beantwortung erfordert. In der Regel hat der Kunde eine klare Vorstellung davon, was er benötigt, und die Ausschreibung an mehrere potenzielle Anbieter versendet. So versucht der Kunde, eine Art Wettbewerbssituation unter den verschiedenen Anbietern zu erzeugen.
Wie wir bereits in Ausgabe 230 besprochen haben, ist diese Haltung des Kunden so zu bewerten, dass er jetzt den günstigsten Preis sucht. Da die Ausschreibung genau definiert, was geliefert werden soll, denkt der Kunde, dass er besser als die Anbieter über die Sache Bescheid weiß. Außerdem versendet er die Ausschreibung an deutlich mehr als einen Anbieter und zeigt dadurch, dass er bezüglich der Auswahl der Lieferanten sehr breit aufgestellt ist.
Spaltenfutter in der Ausschreibung
Bei einer Ausschreibung ist in der Regel mindestens ein Anbieter bereits im Vorfeld getestet worden. Der Kunde hat deswegen eine klare Vorstellung entwickelt, weil er weiß, dass seine Anfrage von zumindest einem Anbieter auf jeden Fall beantwortet werden kann. In gewisser Weise versucht der Kunde jetzt also vergleichbare Angebote zu einem günstigeren Preis zu finden.
Bringen wir diese Verhaltensweise einmal in einen privaten Kontext. Stellen Sie sich vor, Sie möchten ihre Terrasse neu fliesen lassen. Sie haben ziemlich genaue Vorstellungen von der Art der Steine, der Qualität der Oberfläche und allen anderen Faktoren, die den Kauf der notwendigen Produkte und die damit verbundene Dienstleistung definieren. Vielleicht haben Sie sogar schon ein Angebot eines möglichen Dienstleisters vorliegen, der sowohl die Steine liefert als auch die Arbeiten verrichtet. Jetzt wäre es für Sie ein Leichtes, eine Art Ausschreibung auszurufen. Sie würden die Leistungsbeschreibung des einen Anbieters nehmen, vielleicht ein wenig umformulieren und dann an sämtliche möglichen Anbieter für Arbeiten dieser Art versenden und um ein Angebot bitten.
Letztlich möchten Sie nur sicherstellen, dass Sie die Leistung, die Sie von dem ersten Anbieter bekommen könnten, auch wirklich zu einem marktfähigen Preis einkaufen. Wenn Sie Ihre Meinung nicht ändern, werden Sie die nun eingehenden Angebote miteinander vergleichen, prüfen, ob die Qualitätsvorgaben eingehalten wurden, und sich dann innerhalb der vergleichbaren Angebote für das günstigste entscheiden. Stellen wir uns dazu eine Vergleichstabelle vor, in der spaltenweise die einzelnen Anbieter eingetragen werden. Ganz links steht der Anbieter Nummer 1, der auf jeden Fall grundsätzlich als Lieferant infrage kommt. In den einzelnen Zeilen sind die verschiedenen Inhalte des Angebotes aufgelistet: Qualität des Produktes. Preis des Produktes. Preis der Dienstleistung. Gesamtkosten. Eventuell Garantieleistungen. Unter Umständen Nebenleistungen wie Abfallentsorgung usw.
Nun werden ab Spalte zwei weitere Anbieter in die Tabelle eingefügt. Alle Anbieter, die die gleiche Leistung wie Anbieter Nummer 1 beinhalten, aber davon abweichende Preise haben, sind lediglich Spaltenfutter. Ihre Angebote sind nur dazu da, die Vergleichstabelle des Kunden zu füllen.
Strategie für Ausschreibungen
Mit welcher Strategie können wir uns darauf einstellen, Ausschreibungen clever und ertragswirksam zu beantworten? Im Folgenden lernen Sie vier mögliche Strategien kennen. Je nach Unternehmen, Marktlage und Kostenstruktur können sie richtig oder falsch sein.
Strategie Nummer 1: Preisführerschaft
Wenn Sie davon ausgehen, dass Ihr Unternehmen aufgrund von Kostenvorteilen sehr günstig anbieten und dennoch den geplanten Erlös erzielen kann, dann sollten Sie die Preisführerschaft anstreben. In den meisten Fällen dürfte das jedoch in den Hochlohnländern des deutschsprachigen Raums kaum sinnvoll sein. Aber wenn das die richtige Strategie für Sie ist, sollten Sie schlicht und einfach mit dem günstigsten Preis innerhalb einer bestimmten Qualität überzeugen.
Es gibt Unternehmen die sich darauf spezialisiert haben, Ausschreibungen so genau zu lesen und minimalst zu kalkulieren. Das tun sie, weil sie wissen, dass im Auftragsfall und im laufenden Projekt Änderungsanfragen und Erweiterungsbestellungen folgen werden, weil die ursprüngliche Ausschreibung kein sinnvolles Endergebnis beschrieben hatte. Wir kennen diesen Effekt aus öffentlichen Ausschreibungen, die dann zu einem Debakel wie beim Berliner Flughafen oder dem Stuttgarter Bahnhof führen.
Es kann jedoch eine Strategie sein, von Anfang an darauf zu setzen, den niedrigsten Preis anzugeben, um dann später im laufenden Projekt ein Zusatzgeschäft zu realisieren.
Strategie Nummer 2: Ablehnung
Wenn Sie eine Ausschreibung oder Anfrage auf den Tisch bekommen, bei deren Entstehung Sie in keiner Weise beteiligt waren, dann könnten Sie akzeptieren, dass Sie lediglich Spaltenfutter sein werden. Sie könnten sich dann bewusst dagegen entscheiden, überhaupt weiteren Aufwand in ein Angebot zu investieren. Sie ignorieren die Ausschreibung und konzentrieren sich auf andere Verkaufschancen.
Strategie Nummer 3: Sympathie
Wenn Sie eine Ausschreibung bekommen, sind bisweilen strenge Formvorschriften zur Kontaktaufnahme mit dem späteren Auftraggeber enthalten. Man will damit vermeiden, dass Sie oder ein anderer Anbieter sich besondere individuelle Vorteile verschaffen, indem Beziehungen innerhalb des anfragenden Unternehmens aufgebaut oder ausgenutzt werden.
Falls Sie sich an diese Formvorschriften halten möchten, können Sie die Strategie Nummer 3 nicht ausüben. Im anderen Fall sollten Sie sich überlegen, welche Personen an der Entscheidung mitwirken werden. Dann sollten Sie Kontakt zu diesen Personen aufnehmen und sich und Ihr Unternehmen dort positionieren. Möglicherweise kennen Sie diese Personen bereits und können auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit in der Vergangenheit verweisen. Vielleicht können Sie Netzwerkverbindungen oder Kontakte der Führungskräfte Ihrer Unternehmen ausnutzen, um bei vergleichbaren Angeboten eine gewisse Tendenz zu Ihrem Unternehmen zu erreichen.
Zu Recht sind Compliance Regeln sehr streng, wenn es darum geht, diese Art von Beziehungen durch kleine Gefälligkeiten oder Geschenke zu untermauern. Achten Sie daher darauf, dass Sie bei der Strategie Nummer 3 keine Rechtsverletzungen begehen.
Strategie Nummer 4: Verwirrung stiften
Eine Ausschreibung kann man nur versenden, wenn man glaubt, genau zu wissen, was man will. Jedoch bekommen wir häufig Ausschreibungen, bei denen wir das Gefühl haben, dass der Kunde genau das eben nicht weiß. Die Ausschreibung scheint verworren oder zumindest nicht dazu geeignet, das eigentliche Problem des Kunden lösen. Dennoch hatte sich die Organisation des Kunden dazu entschieden, das Format „Ausschreibung“ zu wählen. Möglicherweise weil das zu irgendwelchen internen Unternehmensregeln gehört.
Wenn es uns gelingt, den Kunden in seiner Sicherheit zu erschüttern, dann schaffen wir es eventuell durch verkäuferische Leistung, ein gutes Ergebnis für unser Unternehmen zu erzielen. Es muss uns also nur gelingen, dass das Unternehmen seine Sicherheit verliert, um beurteilen zu können, was genau benötigt wird.
Aktive Verkäufer sind manchmal in der Lage herauszufinden, wer der Entscheider hinter der Ausschreibung sein könnte. Sie haben dann die Möglichkeit, Kontakt zu dieser Person aufzunehmen und ein Gespräch zu führen. Ziel dieses Gesprächs sollte es sein, die Ausschreibung infrage zu stellen und stattdessen gemeinsam mit dem Kunden ein anderes Konzept zu erstellen.
Die Perspektive des Kunden bei der Ausschreibung
Nehmen wir nochmals das Beispiel mit der Terrasse und prüfen wir, wie Sie auf diese unterschiedlichen Strategien reagieren würden.
Strategie 1 würden Sie zur Kenntnis nehmen und bei Ihrer Auffassung bleiben, um später eine Entscheidung zu treffen.
Strategie 2 würde Sie vielleicht ärgern, weil Sie von einem Anbieter kein Angebot bekommen.
Strategie 3 würde vielleicht funktionieren, wenn einer der Anbieter ein enger Freund, der Freund eines Freundes oder vielleicht eine besondere Empfehlung eines Familienmitglieds ist. Sie würden dann vielleicht ein wenig mehr bezahlen, um in der Sicherheit dieser Beziehung Geschäfte zu machen. Schließlich handelt es sich hier um ein Projekt, und wir alle haben schon von Bauprojekten gehört, die kläglich gescheitert sind. Da könnte die persönliche Beziehung zu einem der Anbieter durchaus einen positiven Ausschlag geben.
Aber wie würden Sie auf Strategie 4 reagieren? Nehmen wir an, einer der Anbieter würde Kontakt zu Ihnen aufnehmen und Sie durch einige Fragen verunsichern. Beispielsweise würde er Sie fragen, ob Sie sicher sind, bei dieser Beschaffenheit des Unterbodens mit dieser Steinsorte eine gute Entscheidung zu treffen. Er könnte Ihnen davon berichten, dass diese Steine ohne eine entsprechende zusätzliche Vorbereitung des Untergrundes vermutlich bereits im ersten Winter Schaden nehmen würden. Falls Sie diesen Sachverhalt nicht selbst zu 100% beurteilen können, werden Sie vermutlich verunsichert sein. Es könnte sein, dass Sie den Anbieter als Experten akzeptieren und respektieren und sich von ihm einen anderen Vorschlag unterbreiten lassen.
Welche Strategie ist die beste?
Sie sind völlig frei darin, zu entscheiden, welche dieser Strategien für Ihr Unternehmen und ihre Marktsituation die passenden sind. In diesem Beitrag wollte ich aufzeigen, dass wir durchaus die Wahl zwischen verschiedenen Strategien haben. Wir können entscheiden, ob wir lediglich passiv Anfragen beantworten oder ob wir als Verkäufer eingreifen und den Ausgang der Entscheidung zu unseren Gunsten beeinflussen. Die Tatsache, dass die vorgeschlagenen Interventionen nicht immer zum Erfolg führen, sollen kein Grund sein, es nie zu versuchen. Die Erfolgsquote wird sicherlich deutlich geringer als 100% sein – allerdings auch deutlich höher als 0%. Es lohnt sich auf jeden Fall, es auf sinnvolle Weise zu versuchen.
Fotoquelle Titelbild: shutterstock © Irina Levitskaya
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