„Das neue Normal“ ist gerade angesichts der in Aussicht stehenden Lockerungen ein heiß diskutierter Begriff. Einige können ihn schon gar nicht mehr hören. Andere sind gespannt oder skeptisch, was dahintersteckt. Mit „dem neuen Normal“ stehen drei zentrale Fragen im Raum: Wird nach der Pandemie alles wieder normal? Wie vorher? Gibt es überhaupt ein „nach der Pandemie“?

Und nicht zu vergessen: Was bedeutet das denn für den Geschäftskundenvertrieb, der ja in den vergangenen zwei Jahren einiges durchgemacht hat?

Lassen Sie uns dieses Knäuel an Fragezeichen im heutigen Beitrag einmal ganz in Ruhe entwirren. Am besten vielleicht anhand eines beispielhaften Unternehmens, das große Maschinen an Bauunternehmen verkauft.

Der klassische Geschäftskundenvertrieb in der Krise

Sagen wir, der wichtigste Weg der Kundengewinnung für dieses Unternehmen waren bis Anfang 2020 Fachmessen, auf denen sich Vertriebsmitarbeiter und Interessenten angeregt über die vorgestellten Maschinen unterhalten haben. Im Anschluss tauschten beide ihre Kontaktdaten aus und einige Tage nach der Messe rief der Verkäufer beim neugewonnenen Lead an, um ein zweites Treffen zu vereinbaren.

Dann kam Corona. Mit der ersten Welle wurden links und rechts Messen abgesagt und das Unternehmen musste infolgedessen mit erheblichen Verlusten zurechtkommen. So ging es deutschlandweit, ja weltweit unzähligen Firmen. Viele von ihnen hatten sich bis dato kaum mit einer Digitalstrategie beschäftigt, um diesen Einschnitt abzufangen. Einige wenige hatten zwar schon begonnen, steckten aber noch mitten im Aufbau.

Kurz gesagt: Der Geschäftskundenvertrieb befand sich in einer handfesten Krise. Man konnte nicht mal eben auf ähnliche Situationen aus der Vergangenheit zurückgreifen und Best Practices nutzen, um die Herausforderung zu bewältigen. Dennoch musste nun schnell gehandelt werden, damit sich die Krise nicht in eine Katastrophe ausweitete.

Zwangsdigitalisierung in deutschen Unternehmen

Mit Covid-19 entstand eine Zwangsdigitalisierung. B2B-Unternehmen, die sich in all den Jahren vor der Digitalisierung ihres Vertriebs gedrückt hatten, mussten nun ins eiskalte Wasser springen. Aber Moment – war das Wasser wirklich so unangenehm kalt? Ja, in den ersten zwei Sekunden vielleicht. Schließlich digitalisiert man seinen Vertrieb nicht mit der linken Hand, während man sich nebenher einen Kaffee kocht. Doch wer nicht sofort wieder ans Ufer schwamm, merkte schon bald, dass das Wasser eigentlich ganz erfrischend war. Der digitale Vertrieb bietet Möglichkeiten und Ziele, von denen man vorher nur träumen konnte.

Gehen wir an dieser Stelle noch einmal zu unserem Beispiel zurück. Das Unternehmen hat in den vergangenen beiden Jahren mächtig in seine Ad-hoc-Digitalisierung investiert. Ein mehr als holpriger Start, der auch durch mangelndes Know-how begründet war, ist mittlerweile in einen funktionalen digitalen Vertrieb übergegangen. Dieser zeichnet sich durch fünf wichtige Eckpunkte aus.

1. Abteilungen, Prozesse und Schnittstellen sind miteinander verschmolzen

Das Silodenken und die strikte Trennung zwischen Vertrieb und Marketing wurde aufgehoben. Denn es ist ganz klar: Wenn Verkäufer nicht zum Kunden fahren und keine Fachmessen zur Akquise nutzen können, müssen die Kunden eben selbst zum Unternehmen kommen. Dafür braucht es:

  1. Digitale Marketingstrategien, die automatisiert Leads hereinbringen.
  2. Ein einheitliches Ziel, auf das alle Angestellten gemeinsam und abteilungsübergreifend hinarbeiten.
  3. Ständige Kommunikation und Transparenz aller Prozesse.

Über 75 % der befragten Unternehmen einer Studie der Ruhr Universität Bochum sehen das ähnlich. Sie gaben an, dass das Marketing mittlerweile die Grundlage ihrer Leadgenerierung bildet. Digitale Kundengewinnung kostet dabei nur einen Bruchteil dessen, was man bei der Leadgenerierung mit Messen investieren würde.

2. Stammdaten werden sorgfältig gepflegt

Gute Zusammenarbeit und Transparenz sind nur dann gewährleistet, wenn allen Mitarbeitern alle Informationen zur Verfügung stehen. Statt in private Notizheftchen müssen Mitarbeiter alle relevanten Daten im CRM eintragen und dieses auf dem aktuellen Stand halten.

3. Der virtuelle Vertrieb wurde professionalisiert

Was im März 2020 noch geduldet wurde und vielleicht sogar Anlass für einem wohlmeinenden Scherz bot, ist jetzt ein No-Go: Professionelle Verkäufer dürfen einfach nicht mehr von oben in die Kamera gucken. Wer im Wettbewerb bestehen will, muss sich zudem mit Licht, Kamera und Hintergrund professionell aufstellen. So wie ein unaufgeräumter Meetingraum für wichtige Kundentermine tabu ist, so ist es auch ein schlechtes Setup für Online-Meetings. Ein wabbeliger künstlicher Hintergrund wird ebenso in der unprofessionellen Ecke verortet wie schlechtes Licht, ein verpixeltes Bild oder grauenhafter Ton.

4. Verkäufer trainieren die Telefonakquise

19 % der befragten deutschen Unternehmen gaben in einer McKinsey-Studie an, dass die Telefonakquise Stand Februar 2021 für sie eine wichtige Einnahmequelle darstellt. Im Vergleich: Vor Corona waren es noch 16 %. Das Telefon, das viele totgeglaubt hatten, beweist sich damit auch jetzt noch als wichtiges Akquiseinstrument.

Verkäufer sollten unbedingt trainieren, Kunden rein über die Stimme für sich zu gewinnen.

Apropos Training: Das gilt natürlich für alle Bereiche, Tools und Prozesse. Die beste Digitalisierungsstrategie im Vertrieb nützt nichts, wenn kein Mitarbeiter damit zurechtkommt.

5. Digitale Informationskanäle wurden aufgewertet

Nicht nur der Geschäftskundenvertrieb musste sich neu aufstellen. Auch Einkäufer sehen sich mit neuen Herausforderungen konfrontiert – namentlich Beschaffungsschwierigkeiten, Lieferengpässe und Anbieter, die jetzt die Preise anziehen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass gerade in der Industrie viele Einkäufer auf der Suche nach neuen Geschäftspartnern sind. Digital, versteht sich.

Schlaue Vertriebsteams erkennen das und überarbeiten ihre digitalen Informationskanäle:

  • Produkte und Angebote muss der Interessent schnell und übersichtlich einsehen können.
  • Wer Bedarf hat, sollte sich in einem Video oder einer Demo tiefergreifend informieren können. Die Möglichkeiten reichen hier mittlerweile bis zum VR-Erlebnis.
  • Kontaktaufnahme muss direkt möglich sein, über einen Chatbot, einen Calendly-Link oder ähnliches. Kein Kunde sollte mehr die Telefonnummer händisch ins Smartphone eintippen.

Wird nach der Pandemie wieder alles normal?

Kommen wir jetzt noch einmal auf die Fragen zurück, die wir uns zu Beginn des Beitrags gestellt haben. Wird nach der Pandemie wieder alles normal? Einiges schon. So manches hat sich im Geschäftskundenvertrieb jedoch grundlegend verändert und wird wohl auch so bleiben. Bestes Beispiel sind die Online-Meetings. Der Drang, sich persönlich zu treffen, ist groß – aber persönliche Treffen sind teuer. Viele Menschen haben erkannt, dass es online günstiger, zeitsparender und damit effizienter ist. Vielleicht müssen wir die persönlichen Treffen und Kundenbesuche rar und besonders machen. Sie als klares Signal an den Kunden nutzen, dass uns dieses Treffen extrem wichtig ist.

Nachhaltig verändert hat sich auch die Kundengewinnung. Messen werden vielleicht wieder möglich sein, aber die Wirtschaftlichkeit anderer Wege zur Kundengewinnung ist jetzt sichtbar geworden. Wer es schafft, mit Online-Marketing Leads zu generieren, die pro kaufender Kunde 300 € oder weniger kosten, ist Messen weit überlegen. Die dafür notwendigen Investitionen in Software und Prozesse sind wesentlich geringer als die Kosten für Planung und Durchführung von Messen und ähnlichen Veranstaltungen.

Eine letzte Frage steht jetzt noch im Raum: Gibt es ein „nach der Pandemie“? Vielleicht. Vielleicht ist nach der Pandemie aber auch vor der Pandemie. Wer sagt uns, dass es nicht jederzeit wieder einen Einschnitt geben kann, der klassische Verkaufsprozesse schwierig oder unmöglich macht? Ich bin der Meinung: Das „neue Normal“ ist die Unangreifbarkeit, falls es irgendwann wieder Störungen in der Reise- und Kontaktfreiheit gibt. Und das gelingt nur, wenn wir ausgetretene Pfade verlassen und uns neuen Möglichkeiten öffnen.

Und wie sehen Sie das?