Vielleicht denken Sie jetzt, dass sich die genannten drei Bereiche sehr wohl auch über Zahlen ausdrücken lassen. Schließlich haben wir in den vergangenen Episoden schon ausführlich darüber diskutiert. Allerdings geht es mir jetzt und hier um das Verhalten der handelnden Personen – der Verkäufer selbst.
Es geht also nicht um die Theorie, sondern um die gelebte Praxis. Wir wissen, wie man akquirieren sollte – aber tun wir es? Wir wissen, dass geschlossene Fragen keine gute Idee sind – aber halten wir uns daran? Wir wissen, dass der Einkäufer oft blufft – aber widerstehen wir ihm, wenn es darauf ankommt?
Es gibt in Deutschland so ungefähr 20 Millionen Fußball-Bundestrainer, die alle wissen, was man machen müsste. Bitte lassen Sie die Wörter „man müsste“ aus Ihren Vertriebsmeetings verschwinden. Stattdessen können Sie die Praxis einziehen lassen.
Wie wäre es, wenn Sie künftig bei jedem Vertriebsmeeting weniger Zeit für das Vorsingen des Forecasts einplanen würden? Wenn Sie die Ideen aus den letzten Episoden einbauen, können Sie sich darauf konzentrieren, nur die Aktivitäten zu diskutieren. Und das auch nur in den Fällen, die unklar sind.
Die freie Zeit können Sie im Flugsimulator nutzen. Oder lassen Sie uns das „Verkaufs-Simulator“ nennen. Reihum ist jeder Verkäufer dran. Je nach Größe der Mannschaft gibt es bei jedem Meeting ein, zwei oder gar drei Durchläufe. Jeder bringt eine potenzielle zukünftig geplante oder erwartete Kundensituation mit. Ein Kollege wird bestimmt, der den Kunden spielt. Dazu wird er kurz eingestimmt, worum es geht, was das erwartete Problem des Kunden ist, und so weiter.
Dann läuft das Gespräch ab und es wird gefilmt. Alle nicht beteiligten Kollegen werden gebeten, sich Notizen zu machen und ihr Feedback aufzuschreiben. Das Gespräch beginnt und läuft für 10 bis 15 Minuten. Man kann Dinge ausprobieren, die man sich in der freien Wildbahn nicht traut. Man kann Formulierungen testen. Man darf bis zum Äußersten gehen und sich ausprobieren.
Am Ende bekommt man Feedback von den Kollegen zu Argumenten, Fakten, sachlichen Aussagen, Stimmungen, Chemie und sonstigen Beobachtungen. Man lernt viel dabei, weil man in der realen Situation selten so präzises Feedback bekommt. Der Film wird nicht nochmals gezeigt, aber dem gefilmten Kollegen übergeben, damit er sich das Gespräch in Ruhe und alleine ansehen kann. Dann kommt der nächste dran.
Übung macht den Meister
Es ist das Gleiche, was auch jeder Berufspilot von Zeit zu Zeit tun muss. Natürlich mag man das anfangs nicht. Natürlich ist das keine angenehme Situation. Natürlich versucht jeder Pilot, der Situation auszuweichen. Wenn ein Pilot in den Simulator geht, dann ist er noch nicht mit dem ganzen Hintern auf dem Stuhl, aber schon brennt das erste Teil des simulierten Flugzeugs. Und ab jetzt wird es vier Stunden lang schlimmer. Natürlich hat er darauf keine Lust. Aber er weiß, es macht Sinn. Er weiß, es erweitert seine Fähigkeiten und das sorgt dafür, dass er nachher mehr Ressourcen hat.
Also stellt sich bei Piloten überhaupt nicht die Frage, ob sie das trainieren. Angenommen ein Pilot würde sagen: „Ach, das mit dem Simulator, das ist doch eh nicht die Praxis. Das ist doch wirklich nachvollziehbar, dass der nur auf Stelzen steht und kein echtes Flugzeug ist.“ Jeder Pilot, der so denken würde, der würde erstens gefeuert werden und zweitens würde jeder Pilotenkollege sagen: „Der ist nicht ganz dicht.“ Warum ist das bei Verkäufern anders? Die sagen oft: „Das ist hier nicht die Praxis, das ist doch hier ganz anders und Chef, jetzt seien Sie mir nicht böse, das ist doch keine echte Kundensituation.“
Oft höre ich in Seminaren eine gern genommene Ausrede im Sinne von: „Wissen Sie, das ist doch eine völlig andere Situation. Im Verkaufsgespräch habe ich nicht sieben Zuhörer, die sich Notizen machen, und außerdem ist keine Kamera auf mich gerichtet. Deshalb bin ich in der Realität viel authentischer!“ Stimmt. Das ist in der Realität anders. Aber unabhängig davon, was man selbst fühlt, zeigt die Erfahrung, dass man die wesentlichen Verhaltensweisen, die man in einem Rollenspiel zeigt, auch beim Kunden zeigt. Selbst dann, wenn es einem gar nicht so vorkommt.
Wenn ich beim Golfen meinen Schlag trainieren will und auf die Driving Range gehe, könnte ich auch zum Trainer sagen: „Bitte nicht böse sein, aber das ist hier ja kein richtiger Golfplatz, das ist nur eine Driving Range und die Abschlagmatte ist kein richtiges Gras. Deshalb kann man das hier nicht vergleichen …“ Ja, im Prinzip ist das richtig, aber natürlich auch gleichzeitig völliger Unsinn, denn die wesentlichen Verhaltensweisen, die ich auf der Driving Range zeige, die werde ich auch später auf dem Platz zeigen.
Schaffen Sie realistische Annahmen
Nutzen Sie die Zeit in Vertriebstrainings für die Übung der wichtigsten Gesprächssituationen:
- Akquisition am Telefon
- Gespräche mit dem Entscheider
- Preisverhandlungen mit Profi-Einkäufern
Schaffen Sie für diese drei Arten von Verkaufsgesprächen realistische Annahmen. Sorgen Sie dafür, dass die Rollenspieler auf der Kundenseite straffen Widerstand leisten, aber nicht grundsätzlich feindlich sind. Der „Schauspieler“ auf Kundenseite sollte sich ehrlich verhalten. Er sollte nicht grundsätzlich dagegen sein.
Vielmehr sollte er sich vor dem Gespräch kurz überlegen, was sein echtes Problem ist, welche Auswirkungen es hat, und was er wirklich will. Er sollte sich das aufschreiben, den Zettel falten und für später weglegen. Und er muss sich dann im Gespräch daran halten. Später kann man es nachprüfen. So ist sichergestellt, dass kein Kasperletheater gespielt wird, sondern dass der Verkäufer eine echte Chance hat, die er jedoch finden muss.
Im Fall der Preisgespräche kann sich der Einkäufer überlegen, zu welchem Preis er abschließen will. So kann der Verkäufer später sehen, ob und wie geblufft wurde. Bei Akquisegesprächen legt der Angesprochene vorher fest, was ihn interessiert, und der Verkäufer muss dieses Interesse finden. Bei der Gesprächsführung notiert der „Entscheider“ vorher, welche Probleme er tatsächlich hat und welche Auswirkungen er befürchtet oder schon erlebt.
Für den Anfang dürfte das einen gewissen Widerstand im Team auslösen. Man wird sagen, dass man das nicht braucht. So wie das unerfahrene Piloten vor dem ersten Mal im Simulator sagen würden. Aber mit der Zeit wird es Routine. Es wird vielleicht nie wirklich beliebt, aber wenn die Führung darauf besteht, dann wird es zu einem Ritual. Es wird zu einer Gewohnheit, die regelmäßig umgesetzt wird, auch wenn es Schöneres gibt. Es wird gemacht, weil man unter dem Strich erkennt, dass man sich nur durch Anwendung und konsequente Übung verbessern kann.
Unternehmen, die sich und ihre Fähigkeiten regelmäßig mit der Realität konfrontieren, haben eine Chance ganz vorne dabei zu sein. Im Sport ist das längst Standard. Jeder Sportler weiß, dass er seine Leistungen transparent und messbar machen muss, damit er sich verbessern kann.
Diese Alltags-Trainings sind eine Methode, um die Verkaufsleistung bei den drei wichtigsten Gesprächssituationen messbar zu machen. So können Sie gezielt daran arbeiten, dass die Verhaltensweisen beim Kunden immer besser werden, und dass sich Verkäufer jedes Reifegrades kontinuierlich weiterentwickeln.
Lieber Stephan Heinrich,
habe jetzt alle 52 Podcasts angehört / gelesen bzw. darüber nachgedacht.
DAnke für die vielen wertvollen Inputs, ich werden den Blog und die Bücher gerne weiterempfehlen.
Heinz Ortner
Hallo Herr Ortner,
und es geht munter weiter. Sie dürfen gespannt sein!
Hallo Herr Heinrich,
Wie schaut es mit dem Thema „Vertrieb im Unternehmen – Stellung und Eingliederung“ aus?
Die Konfliktpotentiale haben Sie aus Sicht des Vertriebes teilweise angesprochen, nur die Umsetzung, Einordnung und der tägliche Spagat fehlen.
Danke für die Bemühungen !
Ich verstehe nicht genau, was Sie mit „Umsetzung, Einordnung und dem täglichen Spagat“ meinen …