Als Verkaufsleiter kennen Sie vermutlich den dummen Spruch: „Wer denkt, dass Verkaufsleiter den Verkauf leiten, der glaubt auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten.“
Ha. Ha.
Aber vielleicht ist auch etwas dran.
Die meisten Verkaufsleiter, die ich kenne, haben zwar viel Erfahrung im Verkauf, sind aber irgendwann in die Rolle der Führungskraft hineingerutscht, ohne dass sie vorher wirklich gelernt haben, worauf es in der Führung ankommt – wenn man davon absieht, dass viele von ihren früheren Chefs gelernt haben, wie man es nicht macht.
Führung im Verkauf ist Gefühlssache
Wenn ich Verkaufsleiter frage, nach welcher Methode sie führen, bekomme ich Reaktionen, als ob ich sie aufgefordert hätte, die besagten Zitronen zu falten. Reaktionen und Gesichtsausdrücke der völligen Überraschung und Verwunderung. Dann sammeln sie sich und palavern in bekannter Verkäufermanier etwas von Motivieren und Zeigen wie es geht, etc.
Aber wo ist da die nachvollziehbare Methode? Woran soll man sich orientieren, wenn man als Führungskraft besser werden will? Wie erkennt man, warum es nicht klappt mit der Führung der Mitarbeiter im Verkauf?
Es gibt eine sehr eingängige Methode des Situativen Führens (im Original „Situational Leadership“), die ich schon früh in meiner Karriere als Vertriebsleiter kennenlernen durfte und die mich seither begleitet.
Situatives Führen
Dieses Führungsprinzip, das ursprünglich von Paul Hersay und Ken Blanchard bereits 1977 entwickelt wurde, konnte bislang weder wissenschaftlich bewiesen noch entkräftet werden. Für mich ist es ein sehr anschauliches Modell, das die Orientierung des Führungsstils am Reifegrad der Mitarbeiter vorschlägt.
Dabei ist wichtig zu verstehen, dass ein Mitarbeiter an sich keinen Reifegrad hat, sondern, dass sich der Reifegrad auf ein bestimmtes Aufgabengebiet bezieht. Es kann also sein, dass ein Mitarbeiter in einem Aufgabenbereich einen hohen Reifegrad hat, in einem anderen seiner Aufgabenbereiche jedoch nur einen sehr geringen Reifegrad.
Ich zum Beispiel habe inzwischen einen sehr hohen Reifegrad bezüglich der Durchführung von Verkaufstrainings. Allerdings ist mein Reifegrad bei der termingerechten Ablieferung von Belegen und Fahrtenbüchern eher winzig. Das klappt nur, weil meine Kollegin, die für die Buchhaltung verantwortlich ist, mich sehr streng führt.
Die Idee des Situativen Führens soll dem Verkaufsleiter eine Idee geben, wie er seine Mitarbeiter im Zusammenhang mit verschiedenen Aufgaben jeweils so führen, bzw. anleiten oder unterstützen kann, dass der Mitarbeiter sich im Reifegrad steigert oder wenigstens die gewünschten Ziele erreicht.
Reifegrad bestimmt Führungsstil
In dem Modell stehen vier Reifegrade zur Verfügung, die jeweils vier Führungsstile auslösen sollen. Dabei gilt eine Faustregel: Im Zweifel ein Stil höher. Wenn also Zweifel bestehen, welcher Reifegrad vorherrscht, sollte die Führungskraft eher den höheren Führungsstil wählen, um dem Mitarbeiter die Möglichkeit zu geben, im Reifegrad zu wachsen.
Die vier Reifegrade kann man so beschreiben:
- Reifegrad 1 – Leistet nicht / Will nicht
- Reifegrad 2 – Leistet (noch) nicht / Wille vorhanden
- Reifegrad 3 – Leistet / Will nicht oder traut sich (noch) nicht
- Reifegrad 4 – Leistet / Will
Die hier verwendete extrem kurze Andeutung der Qualität bei Leistung und Willen (oder Leistungs-Motivation), sollte Sie nicht dazu reizen das Modell als „zu simpel“ einzuordnen. Wir werden uns gleich mit den einzelnen Reifegraden und den dazu passenden Führungsstilen intensiv auseinandersetzen.
Die Andeutung der Glockenkurve soll zudem darauf hinweisen, dass die beiden mittleren Reifegrade am häufigsten sind. Sehr geringe Reifegrade verbessern sich entweder sehr schnell oder führen dazu, dass der Mitarbeiter einen anderen Job sucht. Ebenso sind die sehr hohen Reifegrade selten, weil sie zumeist Karriere machen und dann wieder mit geringerem Reifegrad anderen Anforderungen genügen dürfen.
Reifegrad 1 – Leistet nicht / Will nicht
Dieser Reifegrad trifft auf vieles zu, was uns im Laufe unseres Berufslebens begegnet. Bei mir sind es die ungeliebten Reisekostenabrechnungen, die ich wie die meisten Formulare so sehr hasse, dass ich meine Fähigkeit verliere, einfachste Antworten zu formulieren.
Dieser Reifegrad trifft aber auch dann zu, wenn wir (noch) keine gute Leistung in einem neuen Aufgabengebiet haben und zusätzlich auch noch ängstlich oder übervorsichtig eingestellt sind. Dann leisten wir nicht, weil die Ergebnisse (noch) nicht stimmen und die Leistungsmotivation, also der Wille zur Umsetzung nicht da ist.
Jetzt brauchen wir klare Vorgaben in kleinen Schritten und enge Kontrolle, damit wir lernen und uns steigern können. Würden wir in diesem Aufgabenfeld „locker“ geführt werden, käme nicht viel Gutes heraus. Hier passt stark fachlich ausgeprägte Führung, ohne sich groß an unseren Befindlichkeiten zu orientieren.
Der passende Führungsstil lautet: Unterweisen
Reifegrad 2 – Leistet (noch) nicht / Wille vorhanden
Wenn der Wille zur Leistung da ist und wir wirklich ein gutes Ergebnis abliefern wollen – evtl. unter besonderem Zeiteinsatz an der Grenze zur Hartnäckigkeit – dann ist es er zweite Reifegrad.
Wir wollen wirklich, aber es klappt (noch) nicht. Jetzt brauchen wir Zuspruch und fachliche Unterstützung. Wir wollen Anleitung und Schulterklopfen, damit wir uns weiterentwickeln können.
Der passende Führungsstil lautet: Argumentieren
Aus meiner Erfahrung im Umgang mit Verkaufsleitern kann ich sagen, dass die meisten Führungskräfte im Vertrieb diesen Stil am meisten schätzen. Das ist aber nicht hilfreich, weil sie durch diese Präferenz des Führungsstils die Mitarbeiter im diesem Reifegrad festnageln. „Der Papa wird’s schon richten“ ist das Motto, nachdem die Mitarbeiter sich verhalten. „Ich will ja, aber wenn es nicht klappt, dann kommt der Oberverkäufer und wendet alles wieder zum Guten. Er ist halt einfach der Beste. Schade, dass er so überarbeitet ist …“
Die Mitarbeiter brauchen bisweilen Interventionen nach dem Motto: „Du wirst es schon schaffen. Ich vertraue deiner Entscheidung, weil du ja ohnehin verantwortlich bist.“ Nur dann können Sie sich einen Reifegrad weiter entwickeln. Daher lautet die Faustformel „Im Zweifel einen Stil höher“. So ist sichergestellt, dass die Entwicklung der Mitarbeiter unterstützt und gefördert wird, statt sie ein einem der Reifegrade festzuhalten.
Reifegrad 3 – Leistet / Will nicht oder traut sich (noch) nicht
Vor allem langjährige Mitarbeiter zeigen in vielen ihrer Aufgabenbereiche diesen Reifegrad. Sie wissen, wie es geht. Sie können es, aber sie ruhen sich gerne darin aus, nicht selbst verantwortlich zu sein. „Der Chef entscheidet das“ ist die Aussage, obwohl der Chef inzwischen längst nicht mehr der beste Fachmann für die Entscheidung ist.
Man versteckt sich hinter der Hierarchie und nimmt gerne den Windschatten des Chefs in Anspruch um zwar fachlich zu glänzen, aber nicht zu 100% für das betriebswirtschaftliche Ergebnis verantwortlich zu sein.
Der passende Führungsstil lautet: Partizipieren
Das bedeutet, dass die Führungskraft wenig inhaltliche Vorgaben macht, weil der Mitarbeiter es ja ohnehin kann (auch wenn er das selbst noch nicht sieht). Die Führung bestärkt den Handlungsmut des Mitarbeiters und nimmt ihm die Angst vor der Verantwortung. Evtl. auch durch den sprichwörtlichen Schubs ins kalte Wasser. Mitarbeiter mit diesem Reifegrad brauchen dieses Wachsen an den Herausforderungen, weil sie ja fachlich top sind, aber noch nicht (oder nicht mehr) die Zuversicht in die eigene Leistungsfähigkeit haben.
Reifegrad 4 – Leistet / Will
Der Traum aller Verkaufsleiter – oder der Albtraum. Ein Mitarbeiter, der in wesentlichen Aufgabenbereichen, wie Akquise, Gesprächsführung, Präsentation und Preisverhandlung bereits den höchsten Reifegrad erreicht hat, lässt sich zu Recht nicht mehr gängeln und macht was er will – und das macht er sehr gut.
Vertriebsleiter dürfen jetzt loslassen und den Mitarbeiter selbst seine Ziele bestimmen lassen. Das können die wenigsten und sorgen deshalb dafür, dass Mitarbeiter im Reifegrad 4 gelangweilt sind oder sich wegen anhaltender Gängelung zurück entwickeln – nicht selten zum „Dienst nach Vorschrift“.
Der passende Führungsstil lautet: Delegieren
Mitarbeiter in diesem Reifegrad können die Arbeiten besser erledigen als der Chef und sind in der Lage, sich selbst zu führen. Eigentlich ideal für den Chef, weil mit diesen selbstmotivierten Leistungsträgern alles ganz einfach ist. Man muss sie nur machen lassen – solange die Leistung stimmt.
Verkaufsleiter müssen den Reifegrad Ihrer Verkäufer kennen
Weil Sie vermutlich den Reifegrad Ihrer Verkäufer hinsichtlich verschiedener Kernaufgaben kennen, sollten Sie sich genau überlegen, welchen Stil Sie künftig in Ihrer Führungsarbeit wählen werden.
Die erste Einstufung ist die tatsächliche Leitung. Dabei sollten Sie ehemalige Leistungen ausblenden. Es geht nämlich nicht darum, ob jemand es können würde, sondern ob jemand tatsächlich zählbare Ergebnisse abliefert – und zwar dauerhaft und verlässlich.
Die zweite Frage richtet sich nach der Leistung-Motivation – also Lust auf mehr Ergebnis vs. Dienst nach Vorschrift. Hier geht es also um die Frage mit welcher Inbrunst jemand seine Ziele verfolgt – unabhängig davon, ob es im Moment schon zählbare Erfolge zu verzeichnen gibt.
Wie gut sind Sie als Vertriebsleiter?
Nutzen Sie den hier angebotenen Test, um zwei wichtige Fragen genau zu beantworten:
1. Was ist ihre Stilpräferenz?
Die erste Antwort verrät Ihnen, welcher Ihr Lieblingsstil ist. Jeder hat seinen liebsten Stil und wird diesen im Zweifel hervorholen. Gut zu wissen, welcher Stil das bei Ihnen ist. Wenn Sie einzelne Stile sehr oft verwenden, zeigt das, dass Sie reflexartig diesen Stil verwenden. Auf Kosten welchen anderen Stils? Vielleicht ergibt sich hier eine sehr wichtige Erkenntnis für Ihre Weiterentwicklung als Führungskraft.
2. Wie gut ist Ihre Stilsicherheit?
Die zweite Frage zielt darauf ab, wie genau Sie (intuitiv) erkennen, welcher Stil gerade passend ist. Als Ergebnis bekommen Sie eine Punktzahl, die von -24 bis +24 reicht. Als erfolgreiche Führungskraft sollten sie deutlich im zweistelligen positiven Bereich sein.
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