Was sollte ein neuer Vertriebsleiter als Erstes tun? Die Frage lässt sich zweifelsfrei beantworten. Dabei ist es nahezu egal, ob es sich um eine Beförderung handelt, oder um eine neue Position in einem neuen Unternehmen.
Der Vertriebsleiter befindet sich in einem Spannungsfeld aus Unternehmensführung, Verkäufern und Kunden. Er muss dafür sorgen, dass das Zusammenspiel aus Unternehmensstrategie und Kundenbedürfnissen von den Mitarbeitern im Verkauf verstanden und optimal bedient wird.
In diesem Beitrag wollen wir das Idealbild der ersten 100 Tage zeichnen und einen Plan entwerfen, der als Grundlage für die gelebte Praxis in Unternehmen dienen kann. Wir zählen die Arbeitstage der Wochen, sodass die hundert Tage etwa 20 Wochen ausmachen. Beginnen wir mit dem ersten Tag.
Tag 1 als Vertriebsleiter – Fokus Mitarbeiter
Auch wenn Ihr Chef an diesem Tag einiges an Zeit für sich beanspruchen könnte, reservieren Sie den Rest des Tages für Ihre Mitarbeiter. Bringen Sie alle Mitarbeiter in einem Meeting zusammen und halten Sie einen kurzen Vortrag über das, was Sie in den nächsten Wochen und Monaten erreichen wollen.
Es ist nicht notwendig, dass Sie jetzt schon im Detail verkünden, was Sie tun wollen. Es genügt völlig, wenn Sie diese Programm-Ankündigung auf das nächste Meeting vertagen. Kündigen Sie an, dass Sie mit allen Mitarbeitern Gespräche führen wollen um deren Ideen und Anregungen aufzunehmen.
Verbringen Sie den Rest des Tages mit Ihrem engsten Mitarbeiter oder Assistenten, um einen Zeitplan für die kommenden Wochen zu entwerfen und Organisatorisches zu klären.
Tag 2 als Vertriebsleiter – Anregungen aufnehmen
Nutzen Sie den Tag, um mit Ihren Mitarbeitern aus dem Verkauf zu sprechen. Planen Sie einzelne Gespräche. Vielleicht können diese Fragen als gute Anregungen funktionieren:
- Was würden Sie als erstes tun, wenn Sie an meiner Stelle als Vertriebsleiter wären?
- Welche unnötigen Hindernisse und Bremsklötze können wir Ihrer Meinung nach leicht entfernen, wenn die Unternehmensführung mitspielt?
- Woran arbeiten Sie im Moment?
- Was werden Sie in den kommenden Monaten an wichtigen Beiträgen zum Unternehmenserfolg leisten?
- Was haben Sie in den letzten 12 Monaten gelernt und was war Ihre wichtigste Erkenntnis?
Vereinbaren Sie mit Ihren Mitarbeitern einen Modus, wie und wann Sie kommunizieren. Brauchen Sie feste Zeiten für die Kommunikation im Team, haben Sie eine Art Sprechstunde, zu der man unangemeldet kommen kann, oder machen Sie Termine nach Anfrage?
Tag 3 als Vertriebsleiter – Kunden kontaktieren
Stellen Sie erste Kontakte zu den wichtigsten 3 Kunden und den interessantesten 3 (Noch-)Nicht-Kunden her. Führen Sie Gespräche nach diesem Schema:
- Kurze Selbst-Vorstellung: Neue Führung im Vertrieb
- Verstehen, was Kunden gut finden
- Lernen, was sich Kunden als Weiterentwicklung des Unternehmens, des Produktes oder der Dienstleistungen wünschen.
- Erkennen, was Nicht-Kunden bislang davon abgehalten hat zu kaufen oder – bei Ex-Kunden – dazu geführt hat, den Kontakt abzubrechen. Persönliche Befindlichkeiten von strukturellen Mängeln trennen.
Notieren Sie sich aus diesen Gesprächen Ihre spontanen Erkenntnisse. Weil Sie noch unbelastet vom Tagesgeschäft sind, sollten Sie diese Erkenntnisse gut aufbewahren und später noch einmal hervorholen. Am Tag 61 wird dazu Gelegenheit sein.
Tag 4-10 als Vertriebsleiter – Verkauf begleiten
Nutzen Sie die Zeit bis zum Ende der zweiten Woche, um gemeinsam mit dem Vertrieb Kundenkontakte zu begleiten. Entweder durch gemeinsames Reisen mit verschiedenen Verkäufern, durch Kundenkontakt im Ladenlokal oder durch das gemeinsame Telefonieren im Call-Center.
Nutzen Sie die Gelegenheit, um den Kunden ebenfalls Fragen zu stellen. Achten Sie darauf, dass Sie sich nicht in der Vergangenheit verfangen. Wichtig ist, dass Sie sich und den Kunden Fragen stellen, die auf die Zukunft gerichtet sind. Hier einige Ideen:
- Was erwarten Sie von uns in der Zukunft?
- Welche Leistungen und Produkte würden Sie gerne von uns beziehen, die wir bislang noch nicht angeboten haben?
- Welcher Zwischenfall hatte schon einmal unsere Beziehung belastet und was würden Sie uns empfehlen, um ähnliches künftig zu vermeiden?
- Was ist für Sie ein besonderes Highlight, das Sie bei uns einmal wieder erleben wollen?
- Wenn Sie an meiner Stelle als frisch gebackener Vertriebsleiter wären: Was würden Sie besonders beachten?
Machen Sie sich auch hier Notizen, die Sie für die Umsetzung in einen Plan brauchen. Und bitte bewahren Sie diese Notizen gut für Tag 61 auf.
Tag 11-30 als Vertriebsleiter – Programm und Umsetzung
Woche drei bis sechs ist dafür reserviert, die Erkenntnisse der ersten Wochen in einen Plan umzusetzen, der ähnlich eines Wahlprogramms die wichtigsten Taten plant. Nennen wir es „das Programm“.
Als erstes fassen Sie die Ergebnisse der Kontakte mit Kunden und Mitarbeitern zusammen und formulieren daraus Ihr Aktionsprogramm.
Stimmen Sie das Programm mit Ihrem Chef ab und holen Sie sich von ihm weitere Anregungen für die Umsetzung des Programms.
Führen Sie Einzelgespräche mit allen Mitarbeitern und verwenden Sie viel Zeit darauf, das Programm zu erklären und sich Feedback darauf zu holen. Klären Sie, was jeder einzelne Mitarbeiter bereit und in der Lage ist, zu tun, um das Programm zu unterstützen. Notieren Sie sich das und bitten Sie den Mitarbeiter bei Abweichungen und bei besonderen Erfolgen eine Nachricht an Sie zu senden.
Tag 31 als Vertriebsleiter – Das erste Resümee
Etwa ein Drittel der ersten hundert Tage nähert sich dem Ende. Zeit für ein erstes Ergebnis.
- Was haben Sie gelernt?
- Was haben Sie bewirkt?
- Was machen Sie jetzt anders?
Holen Sie sich ein Feedback von Ihrem Chef zu den ersten zwei Monaten. Was gefällt ihm? Was hat er vermisst? Wie können Sie dieses Feedback in Ihre Arbeit einbauen?
Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um Ihr Aktions-Programm sozusagen in einer Beta-Version an den Start zu bringen. Holen Sie sich von Ihrem Chef ein O.K. dazu.
Tag 32-60 als Vertriebsleiter – Reflexion und Korrektur
Die Wochen sieben bis zwölf stehen unter dem Zeichen der Reflexion und Korrektur. Ihr Programm wird nun umgesetzt. Weil es eine erste Version ist, achten Sie jetzt aber besonders aufmerksam auf Fehler. Welche Annahmen haben sich als Irrtum herausgestellt? Welche Ideen stoßen auf wenig Resonanz? Was wird heftig kritisiert?
Jetzt haben Sie die Chance, den Kurs der ersten dreißig Tage zu überdenken und zu korrigieren. Dabei sollten Sie das Feedback aufmerksam annehmen. Aber lassen Sie sich nicht von Kritik erschrecken. Vielleicht gibt es einzelne Meinungen, die für sich gesehen richtig sind, jedoch nicht zu Ihren Zielen passen.
„Wenn man den Sumpf trockenlegen will, sollte man nicht die Frösche zu Ihrer Meinung fragen.“ Dieses Zitat einer Rede aus dem Jahr 1894 wird immer wieder verwendet und bestimmt kennen Sie diesen Spruch bereits. Er drückt so herrlich den Konflikt aus, den Führungskräfte immer wieder ausgesetzt sind. Einerseits wollen sie motivierte und engagierte Mitarbeiter. Andererseits müssen Sie sicherstellen, dass „toxische Kollegen“ nicht die Strategie und die Entwicklung des Unternehmens oder der Abteilung torpedieren.
Also holen Sie sich umfangreiches Feedback und lassen Sie alle Meinungen gelten, aber achten Sie darauf, dass Sie nicht jedes Feedback für bare Münze nehmen. Ordnen Sie die Rückmeldungen für sich richtig ein und machen Sie daraus eine zweite leicht korrigierte Version Ihres Programms.
Tag 61 als Vertriebsleiter – Das 2. Resümee
Jetzt sind rund 60 Prozent der ersten 100 Tage vergangen. Zeit für eine Vertiefung. Holen Sie die Notizen vom 3. und 10. Tag hervor und lesen Sie Ihre damaligen Eindrücke unter den heutigen Eindrücken erneut. Nutzen Sie Ihr unbefangenes Bild von damals und gleichen Sie es mit Ihren heutigen Erkenntnissen ab.
- Was hat sich bestätigt?
- Was ist inzwischen in Vergessenheit geraten?
- Was war damals offenbar eine Fehleinschätzung?
Wenn sich aus diesen drei Fragestellungen neue Ideen für Ihr Programm ergeben, können Sie es noch anpassen. Diskutieren Sie Ihre ersten Eindrücke von damals mit Ihren Mitarbeitern, die Sie inzwischen besser kennengelernt haben.
Tag 62-80 als Vertriebsleiter – Zielvereinbarungen
Stellen Sie Wochen dreizehn bis sechzehn unter das Zeichen der Zielvereinbarungen. Inzwischen haben Sie genügend Klarheit zu Ihrer Vision für Ihr Vertriebsgebiet und ausreichend Praxiserfahrungen für Mitarbeitergespräche auf Augenhöhe.
Nutzen Sie die beiden Wochen, um ausführliche Zielgespräche in Ihr Alltagsgeschäft einzubauen. Die Zielvereinbarungen sollten auch wirklich Vereinbarungen und keine Diktate sein, denn nur dann ist eine hohe Motivation zur Umsetzung gegeben. Ziele sind spezifisch, messbar, anspornend (oder attraktiv), realistisch und terminiert (zeitlich abgegrenzt).
Achten Sie darauf, dass die Zielvereinbarungen schriftlich sind und von beiden Parteien auch wirklich unterzeichnet werden. Wenn Sie besonders wirksam sein sollen, sollten Sie darauf achten, dass die Zielvereinbarungen nicht direkt mit einer Gehaltsvereinbarung gekoppelt sind. Warum das wichtig ist, erfahren Sie noch später in der Ausgabe dreizehn in diesem Themenschwerpunkt „Führung“.
Tag 81-99 als Vertriebsleiter – Feedback und Vorbereitung
Die letzten beiden Wochen Ihrer Bewährungsperiode von 100 Tagen brechen an. Jetzt sind Sie längst im Alltagsgeschäft aufgesaugt worden. Nutzen Sie jetzt jede Gelegenheit, um erneut Feedback von Kunden und Mitarbeitern einzufangen. Bereiten Sie alles vor, um an Ihrem einhundertsten Tag eine Bewährungsprobe vor Ihrem Chef zu bestehen.
Tag 100 als Vertriebsleiter – Der Tag der Wahrheit
Sie haben schon vor einiger Zeit für diesen Tag einen Termin mit Ihrem Chef gemacht. Ziel des Gespräches ist, dass Sie ihm die Ergebnisse der ersten 100 Tage präsentieren, interpretieren und mit ihm diskutieren.
So soll ein Programm für die nächsten Monate Ihrer Zusammenarbeit entstehen. Dieses Programm und die darin vereinbarten Ziele, Aktivitäten und Ereignisse soll als Dokumentation Ihrer Arbeit vereinbart werden. Mit dieser Klarheit starten Sie in die Routine Ihrer Aufgabe und haben dennoch eine klare Leitlinie, um trotz Routine die richtige Richtung im Auge zu behalten.
Bewährungsprobe für Vertriebsleiter
Wenn Sie sich diesem 100-Tage-Programm aussetzen, werden Sie von Ihrem Chef und Ihren Mitarbeitern vielleicht nicht ausschließlich Zuspruch bekommen, aber der Respekt ist Ihnen sicher. Wenn Sie sich selbst auf diese Weise auf den Prüfstand stellen, zeigen Sie, dass Sie sich nicht zu schade sind, mit den wichtigsten Kunden und allen Mitarbeitern ausführlich zu sprechen und gleichzeitig den Überblick bewahren.
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