Wenn es um „erklärungsbedürftige Produkte“ geht, haben wir es fast immer mit komplizierten Sachverhalten zu tun. Vielleicht liegt das an dem Wort „erklärungsbedürftig“, das den Eindruck erweckt, wir müssten unser Produkt erst erklären, bevor wir es verkaufen können. Und das ist fast immer ein Irrtum. Dieser Drang, etwas zunächst erklären zu müssen, kommt meist daher, dass Verkäufer zu viel Zeit damit verbringen, das Was und das Wie nachvollziehbar zu machen. Besser wäre es, zunächst das Wozu ausführlich zu verstehen.
Der Unterschied zwischen kompliziert und komplex
Aber was bedeuten denn überhaupt Kompliziertheit und Komplexität? Ist das nicht das Gleiche? Nein. Komplexität ist das Maß an Zuständen, das ein System einnehmen kann. Eine Glühbirne beispielsweise ist entweder an, aus oder kaputt. Das ist eine geringe Komplexität im Vergleich zum menschlichen Organismus, der eine Vielzahl von Zuständen annehmen kann. Niemand käme auf die Idee, diese Komplexität reduzieren zu wollen. Man kann jedoch versuchen, sie zu verstehen.
Kompliziertheit bedeutet in diesem Fall, eine an sich einfache Sache unnötig schwierig, d.h. schwer verständlich auszudrücken. Aus der Perspektive des Betrachters erscheint etwas dann als kompliziert, wenn dieser zum Beispiel nicht genug Wissen, Können, Intelligenz oder die Bereitschaft hat, etwas verstehen oder beherrschen zu wollen.
Man kann also sagen, dass Komplexität in der Sache an sich festgelegt ist und weder verringert noch vergrößert werden kann. Kompliziertheit kann demgegenüber immer verhindert oder vermieden werden, indem man sich darum bemüht, Worte zu verwenden, die so einfach wie möglich das Wesentliche kommunizieren und Unwesentliches auslassen.
Oder anders ausgedrückt: Es gibt keine komplizierten Sachverhalte, sondern nur komplizierte Erklärungen. Damit wir eine scheinbar komplizierte Erklärung verständlicher machen können, sollten wir uns zunächst auf das „Wozu“ konzentrieren.
Auf das „Wozu“ konzentrieren, statt das „Was“ oder „Wie“ erklären
Dehnungsschrauben sind ein scheinbar kompliziertes Produkt. Ich möchte das aufzeigen, indem ich Dehnungsschrauben und ihre Funktion auf zweierlei Weise erkläre. Beginnen wir mit der Erklärung, was es ist.
Eine Dehnungsschraube ist eine Schraube, die sich mechanisch verhält wie eine Feder. Jede Feder hat eine sogenannte Federkennlinie. Dadurch wird ausgedrückt, wie sich die Kräfte der Feder verändern, je weiter sie auseinandergezogen wird. Eine Dehnungsschraube sieht üblicherweise so aus, dass sie an beiden Enden jeweils ein Gewinde hat. In der Mitte zwischen den beiden Gewinden wird der Schaft der Schraube ein wenig schmaler. Durch die Beschaffenheit und Form sowie Dicke des Schafts in der Mitte sowie die Materialien aus denen der Stahl für die Schraube gefertigt wurde, wird die Federkennlinie einer Dehnungsschraube festgelegt. Wenn eine Dehnungsschraube verwendet wird, sorgt sie dafür, dass bei einem definierten Drehmoment bei der Montage die Zugkräfte der Schraube über mehrere Jahre immer gleichbleiben.
Versuchen wir jetzt eine Erklärung, die sich eher auf das „Wozu“ konzentriert. Man braucht Dehnungsschrauben, wenn man in Maschinen oder Anlagen sicherstellen will, dass Schraubverbindungen über einen längeren Zeitraum stabil bleiben, auch wenn starke Temperaturunterschiede oder Rüttelkräfte darauf wirken. Typische Einsatzgebiete sind Flanschverbindungen, die Rohre miteinander verbinden, Zylinderkopfdichtungen an Motoren und Windkraftwerke.
Bestimmt erkennen Sie sofort den Unterschied. Bei der zweiten Version haben wir nicht versucht zu erklären, wie eine solche Schraube funktioniert, oder was es genau ist. Wir haben uns darauf konzentriert, den Sinn in den Vordergrund zu stellen und die gewünschten Ergebnisse zu erklären.
Erklärungen, die unvergessen bleiben
Wenn wir eher trockene und nüchterne Zusammenhänge darstellen wollen, ist es hilfreich, möglichst viele Bilder zu verwenden. Zum besseren Verständnis nutze ich ein Beispiel, das ursprünglich von Vera Birkenbihl verwendet wurde. Bitte lesen Sie sich die nachfolgende Beschreibung einer kurzen Episode einmal durch. Nachdem Sie die Passage gelesen haben, schließen Sie bitte die Augen und versuchen, die Geschichte nachzuerzählen. Hier der Text:
Zweibein saß auf einem Dreibein und knabberte an einem Einbein.
Da kam Vierbein und nahm Zweibein das Einbein weg.
Da nahm Zweibein das Dreibein und schlug damit nach Vierbein.
Da ließ Vierbein das Einbein fallen.
Zweibein nahm sich sein Einbein zurück und setzte sich wieder auf Dreibein.
ACHTUNG!
Bevor Sie jetzt weiterlesen, sollten Sie sich unbedingt einen Moment Zeit nehmen und versuchen, die soeben gelesene Geschichte kurz nachzuerzählen.
Ist es Ihnen gelungen?
Vermutlich hatten Sie Schwierigkeiten, sich an den genauen Verlauf der Geschichte zu erinnern. Lesen Sie nun die gleiche Geschichte noch mal in etwas anderen Worten erzählt:
Ein Mensch saß auf einem Hocker und knabberte an einer Hähnchenkeule.
Da kam ein Hund und nahm dem Menschen die Hühnerkeule weg.
Da nahm der Mensch den Hocker und schlug damit nach dem Hund.
Da ließ der Hund die Hühnerkeule fallen.
Der Mensch nahm sich seine Hühnerkeule zurück und setzte sich wieder auf den Hocker.
Wie ist es Ihnen jetzt ergangen? Denken Sie, dass Sie diese Geschichte fehlerfrei nacherzählen können? Vermutlich schon. Dieses Beispiel der bekannten Managementtrainerin und Autorin Vera Birkenbihl zeigt, wie wir unsere Erklärungen gehirngerecht gestalten können. Letztlich geht es immer darum, dass wir komplizierte Texte vermeiden und stattdessen einfachere Geschichten erzählen, die einem besser im Gedächtnis bleiben.
Die Eigenschaften von guten Geschichten
Storytelling ist in aller Munde. Dieses Schlagwort bezieht sich auf die Tatsache, dass Menschen Geschichten, die einen Handlungsablauf beschreiben, besser in Erinnerung behalten können, als eine nüchterne Aneinanderreihung von Tatsachen. Wenn wir also erreichen wollen, dass unsere Erklärungen besser verstanden werden, sollten wir Storytelling anwenden.
Die Brüder Chip & Dan Heath beschäftigen sich in ihrem Buch „Made to stick“ mit der Frage, wie man Ideen so „verkauft“, dass Sie hängen bleiben. Sie haben festgestellt, dass man erfolgreiche Ideen an wenigen charakteristischen Merkmalen erkennt, nicht-erfolgreiche jedoch nicht kategorisieren kann, weil jede für sich auf einzigartige Weise schlecht ist. In ihrem Buch haben die Brüder sechs Kriterien herausgearbeitet:
Einfach – Was kann man noch weglassen ohne den Sinn zu verfälschen? Was ist zu kompliziert? Wie kann man es ohne Fremdworte sagen?
Unerwartet – Wo ist die Überraschung? Welche unerwartete Wendung gibt es?
Konkret – Wie kann man es mit bildhaften und klaren, statt abstrakten Worten sagen? Welchen Bezug hat es zu hier, heute und uns?
Glaubhaft – Welche Zeugen gibt es? Welche Beweise kann man anführen? Wo ist es selbsterklärend?
Emotional – Wie kann man es emotional aufladen? Was bedeutet es für das Leben der Beteiligten?
Erzählend – Wie wird eine gute Geschichte daraus? Was muss ich beachten, damit es weiter erzählbar ist?
Machen Sie sich eine Checkliste mit diesen sechs Punkten und arbeiten Sie immer wieder an Ihren Präsentationen, Herleitungen, Beispielen und Anekdoten, die Sie erzählen, um diese Punkte von Mal zu Mal besser zu erfüllen. Sicher wird es nicht möglich sein, immer und in jedem Fall sämtliche Punkte abzudecken, aber je mehr dieser Kriterien erfüllt sind, desto eindrucksvoller werden Sie.
Erklären oder verstehen?
Auch wenn das auf den ersten Blick unsinnig klingt – vielleicht ist es grundsätzlich eine gute Idee, sich auf das Verstehen, statt auf das Erklären zu konzentrieren. Das kann ganz gut gelingen, wenn Sie anstelle einer Präsentation eine Nicht-Präsentation durchführen wollen. Dafür bereiten Sie sich vor, als würden sie eine Präsentation machen. Das heißt, Sie haben Folien, Diagramme, Darstellungen, Produktmuster und viele andere Dinge dabei, um etwas Bestimmtes zeigen oder vorführen zu können.
Bevor Sie allerdings damit beginnen, Ihre Präsentation durchzuführen, konzentrieren Sie sich zunächst auf das Verstehen. Dazu haben Sie die Teilnehmer bereits in der Vorbereitung oder Einladung darum gebeten, sich Fragen zu überlegen, die bei dieser Präsentation beantwortet werden sollen. Ganz zu Beginn bitten Sie die Teilnehmer daher, ihre Fragen auf Karten zu notieren, die Sie dann sofort an eine Pinnwand heften.
So entsteht eine Übersicht aller wichtigen offenen Fragen, die das Publikum sich gerade selbst stellt. Erst nachdem Sie verstanden haben, welche Fragen das Publikum beschäftigen, beginnen Sie damit, die Fragen mit Ihrer vorbereiteten Präsentation zu beantworten.
Diese bestechend einfache und in der Wirkung hervorragende Methode nenne ich die „Nicht-Präsentation“.
Fotoquelle Beitragsbild: © fotolia / ra2 studio
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