Kapitel 09: Nicht Präsentation – Die Alternative zu „Mein Haus, mein Boot, mein Auto“

Wer verkaufen will, der muss etwas zu sagen haben. Schließlich kann man den Kunden nur dann überzeugen, wenn man sein Produkt oder seine Dienstleistung auch überzeugend präsentiert. Man könnte sagen: „Präsentationen sind die Königsdisziplin des Verkaufens!“ Oder doch nicht? Ist es im Verkauf wirklich so wichtig, wie man präsentiert?

Vielleicht ist es die am meisten überschätzte Qualifikation, die obendrein auch noch oft falsch verstanden wird. Lassen Sie mich das mit einer Anekdote verdeutlichen. Einer meiner Kunden hatte mich vor einiger Zeit gebeten, ein Präsentationsseminar für seine Vertriebsmannschaft zu entwerfen und zu halten. Die Führung hatte sich darüber geärgert, dass ihre Verkäufer nicht gut waren, wenn sie ihre Firmenpräsentation beim Kunden abhielten. In meinem Seminar sollten die wesentlichen Aussagen der rund 30 Folien einstudiert werden, so dass alle Mitarbeiter beim Kunden in gleicher Weise professionell präsentieren können.

Ich hatte daraufhin den Entscheider gefragt, ob er nicht eine andere Idee dazu hören möchte. Als er bejahte, fragte ich: „Warum holen Sie sich nicht einen professionellen Schauspieler und ein Filmteam und lassen die Präsentation aufzeichnen? Eventuell mit einer Frau und einem Mann, um die Zielgruppe zu vergrößern. Dann lassen Sie das Ganze in mehrere Sprachen simultan übersetzen und posten es auf Youtube. Dann müssten doch alle Kunden überzeugt sein.“ Er sah mich verwirrt an und sagte: „Das ist nicht das, was wir wollen. Wir müssen doch die Präsentation auf die jeweiligen Zuhörer anpassen…“ Der Auftrag kam zustande. Allerdings wurde es kein Präsentationstraining, sondern ein Training, in dem es darum ging, die richtigen Fragen zu stellen, den Kunden zu verstehen und erst dann seine verbliebenen Fragen (evtl. mit Hilfe einzelner Folien) zu beantworten.

Dieses Konzept, das ich „Nicht-Präsentation“ nenne, möchte ich Ihnen in diesem Kapitel vorstellen. Dazu will ich unterschiedliche Aspekte von Präsentationen einzeln mit Ihnen auseinandernehmen.

 

Woche 33 – Zieh’ mich ab: Begriff verhindert Verständnis

Sind Sie schwer von Begriff? Diese Beleidigung ist sprachlich etwas antiquiert, aber ich denke, sie könnte immer noch funktionieren. Etwas nicht „zu begreifen“ ist in der Bedeutung ähnlich zu „doof sein“.

„Da machen Sie sich keinen Begriff…“, „Ich begreife das nicht …“,  „Der muss begriffsstutzig sein …“

Vielleicht kennen Sie diese Ausrufe. Möglicherweise sind sie etwas aus den Mode gekommen, aber wir verstehen sie dennoch. Sie alle haben damit zu tun, dass Verständnis fehlt. Und sie weisen darauf hin, dass einer unserer wichtigsten Sinne offenbar der Tastsinn sein muss, der in „greifen“ steckt.

Begriffe geben uns zunächst Sicherheit. Aber wir vergessen, dass wir unter einem Begriff ganz Unterschiedliches verstehen können. Nehmen wir einmal den Begriff „Cloud“, der im Moment nicht nur bei den Fachleuten in aller Munde ist. Die häufige Verwendung ist jedoch kaum ein Garant für Klarheit. Was ist „Cloud“?

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Für die einen ist die Cloud DER neue Trend in der IT-Industrie, der Arbeitsplätze generiert und die Europäische Wirtschaft zum Blühen bringt. Für die anderen ist sie ein unkalkulierbares Risiko, weil unsere Daten samt deren Benutzung und Speicherort räumlich undefinierbar werden und sich dadurch unserem geltenden Rechtssystem entziehen. Für die einen ist die Cloud die sicherste Methode, um Daten zu speichern, weil sie so auch bei Totalverlust der eigenen Hardware binnen Sekunden wieder auf einem neuen PC zur Verfügung stehen. Für die anderen ist sie der Datenschutz-Super-GAU, weil wichtige Informationen ungeschützt im Internet zugänglich sein könnten.

Also was ist die Cloud nun? Die Antwort ist eindeutig: Ihre Bedeutung entsteht im Kopf des Betrachters. Es kann keine feste Bedeutung für „Cloud“ geben. Die einen denken so – die anderen denken so.

 

Information ohne Emotion hat keinen Wert

Cloud-Computing „umschreibt den Ansatz, abstrahierte IT-Infrastrukturen (z. B. Rechenkapazität, Datenspeicher, Netzwerkkapazitäten oder auch fertige Software) dynamisch an den Bedarf angepasst über ein Netzwerk zur Verfügung zu stellen“. (Quelle: Wikipedia.de) Aha. So so. Das klingt nüchtern und wenig emotional. Die Bedeutung fehlt. Man könnte annehmen, dass ein Begriff, der noch nicht mit Emotionen belegt ist, keinen Wert hat.

Nehmen wir mal den Begriff „Golk“. Den kennen Sie möglicherweise nicht. Der Begriff löst also nicht so viel bei Ihnen aus. Stellen Sie sich nun vor, Sie erfahren, dass es sich dabei um ein frühzeitliches Schneidewerkzeug aus Skandinavien handelt, das vor allem zum Häuten von Jagdbeute verwendet wurde. Jetzt wird es interessant, weil es nun davon abhängt, welche Emotionen „das Häuten von Jagdbeute“ bei Ihnen auslöst. Bei einem passionierten Jäger vermutlich etwas völlig anderes als bei einem engagierten Tierschützer.

Nun – vielleicht fragen Sie sich, ob Golk wirklich diese Bedeutung hat. Und die Antwort ist: Nein, das habe ich mir ausgedacht. Bei jungfräulichen Begriffen ist es möglich, diese mit Emotion aufzuladen. Ein Effekt, den sich Namensagenturen zu Nutze machen, wenn sie Namen wie „Panamera“ oder „Zafira“ erfinden, die anders als Namen wie „Mustang“ oder „Record“, die man früher für Fahrzeugnamen nutze, zunächst ohne emotionale Bedeutung sind. Diese emotionale Leere kann dann mit emotionalen Werbebotschaften aufgeladen werden.

 

Vom Blindflug zum Leitstrahl

Wie können Sie diese Erkenntnisse für Ihre tägliche Arbeit nutzen? Was heißt das konkret? Nun, wenn Sie eine Entscheidung bewirken wollen, ist der Umgang mit Begriffen sehr riskant, denn in dem Moment, in dem Sie den Begriff verwenden, verlieren Sie die Kundenperspektive.

Sagen wir, Sie verwenden in einer Präsentation den Begriff „Konsolidierung“. Nach Lehrbuch bedeutet das: Festigung, Sicherung eines Bestandes, von lateinisch consolidare (= fest machen, stark machen, vergleiche solide). Aber sicher könnte es auch „Einsparmaßnahmen“ bedeuten. Vielleicht löst der Begriff sogar Emotionen aus, weil der Ehepartner einer Zuhörerin gerade eben seinen langjährigen Arbeitsplatz wegen „routinemäßiger Konsolidierung“ verloren hat.  Wenn Sie also den Begriff „Konsolidierung“ verwenden, dann verlieren Sie die Kontrolle über die Perspektive der Zuhörer, weil jeder nun in seinem persönlichen Erfahrungsschatz nach der individuellen Bedeutung für den Begriff sucht. Damit werden die zugehörigen Emotionen ausgelöst.

Gehirn sucht Bekanntes. So ist unser Gehirn aufgebaut. Wenn wir mit Begriffen konfrontiert werden, suchen wir in unserer Erfahrung nach einer Bedeutung und damit werden automatisch die damit verknüpften Emotionen wach. So können wir intuitiv auf Gefahren reagieren oder Angenehmes finden. Allerdings können wir bei etwas komplexeren Begriffen unmöglich wissen, was unser Gesprächspartner darunter versteht und noch weniger, was er dabei fühlt. So begeben wir uns also bei jeder Begriffsnennung in einen emotionalen Blindflug.

Die Alternative ist Zuhören, Verständnis und echtes Interesse. Manche Leser fragen sich jetzt vielleicht, wie Zuhören und Präsentieren zusammenpassen. Das ist gar nicht so schwer, wenn man sich auf einen ganz einfachen Weg begibt: Seien Sie gut vorbereitet, aber lassen Sie zunächst Ihre Gesprächspartner zu Wort kommen.

Nehmen wir an, Sie müssen Ihrem Chef das Projekt „ERP Erweiterung Lagerverwaltung“ verkaufen. Wie könnte das gehen? Na, bestimmt nicht mit den drei Begriffen. Warum nicht? Weil Sie nicht einschätzen können, was Ihr Chef denkt, wenn er Lagerverwaltung hört. Denkt er „Abschreibungen durch Inventurfehlmengen“, denkt er „Beschleunigung der Lagervorgänge“ oder denkt er gar „Lagerbestand zu hoch, um Ertrag langfristig zu sichern“? Und da haben wir die anderen Begriffe noch gar nicht untersucht.

Die Alternative wäre, dass Sie in das Gespräch gehen und sagen: „Chef, wenn Sie jetzt an das Verbesserungspotential im Lager denken, was sind da Ihre wichtigsten Prioritäten?“ Sie gehen also in die Perspektive des Gesprächspartners und geben ihm die Möglichkeit, seine Ideen, Emotionen und Begriffe zu setzten. Sie leiten nicht seine Emotionen in eine unbekannte Richtung, sondern nutzen den Leitstrahl seiner ureigensten Interessen, um Ihre Projektidee zum Laufen zu bringen.

Was Sie über Präsentationen wissen sollten:

Begriffe sind unterschiedlich belegt. Wir können unterschiedliche Bedeutungen hineininterpretieren. Das geschieht rein auf der Sach-Ebene. Wenn Sie den Begriff „Hund“ verwenden, haben Sie vermutlich einen ganz anderen Typ Hund vor Augen, als ich oder jeder andere Mensch. Wenn der Präsentierende den Begriff verwendet, gibt ihm das Sicherheit, weil in seiner Vorstellung völlig klar ist, was er meint. Er sagt „Hund“, sieht das Tier vor sich und kommt gar nicht auf die Idee, dass jemand eine völlig andere Vorstellung davon haben könnte. Das ist der erste potenzielle Fehler, der bei der Verwendung von Begriffen entstehen kann: Die Bedeutungsebene.

Die zweite Abweichung dürfte auf der Bewertungsebene liegen. Unser Gehirn ist darauf trainiert, Situationen zu erkennen und bewerten. Gut oder schlecht? Angenehm und gewollt oder unangenehm und ungewollt? Wenn Sie in letzter Zeit von einem Hund gebissen wurden, wird die Verwendung des Begriffs etwas bei Ihnen auslösen. Wenn Sie sich gerade einen süßen Welpen angeschafft haben, löst das Wort etwas anderes aus, als bei einem anderen Zuhörer, der gerade seinen langjährigen treuen Begleiter beerdigen musste. Der zweite potenzielle Kommunikationsfehler tritt auf, wenn unsere Erlebnisse mit diesem Begriff eine Auswirkung auf unser Denken haben. Wir alle sind die Summe unserer bisherigen Erfahrungen und das beeinflusst unser Denken. Präsentatoren können unmöglich die Summe der Erfahrungen ihres Publikums kennen. Daher unterliegt die Verwendung von Begriffen immer einem großen Bewertungsrisiko.

2023-01-04T14:13:02+01:00 10. August 2014|Angebot und Präsentation|1 Kommentar

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