Angenommen, Ihr letzter Geburtstag läge länger als zwei Monate zurück. Erinnern Sie sich heute noch daran, wer Ihnen an Ihrem Ehrentag über flüchtige Wege wie WhatsApp, Facebook und Co. gratuliert hat? Vermutlich nicht an jeden einzelnen. Haben Sie jedoch die ein oder andere Grußkarte auf dem veralteten Postweg erhalten, so erinnern Sie sich womöglich noch genauestens an den Absender – und werden ihm vermutlich zu seinem Geburtstag die gleiche Ehre erweisen und eine Grußkarte per Post versenden.

Dieses Prinzip nennt die Soziologie „Reziprozität“. Menschen sind voneinander gegenseitig abhängig. Durch Gegenseitigkeit entstehen Beziehungen und gegenseitiges Vertrauen. Bekannte Studien, die sich mit diesem Phänomen auseinandersetzen, stammen oft aus der Ethnologie. Ein Beispiel ist Malinowskis Untersuchung über den „Kularing“ auf den Trobriand-Inseln. Dabei tauschen die Bewohner Muschelhalsketten und -armbänder. Das führt zu engen Bindungen zwischen den Bewohnern, auch wenn sie auf weiter entfernten Inseln leben und sich persönlich selten treffen. Es scheint also, dass unabhängig von Kultur und Herkunft Menschen einen starken sozialen Drang haben, auch kleinste Schuldverhältnisse wieder auszugleichen.

Reziprozität

Wer gibt, löst dadurch ganz oft beim Begünstigten den Impuls aus, sich zu revanchieren. Das funktioniert vor allem dann, wenn das Geschenk für den Beschenkten einen individuellen Wert hat. Es geht also weniger um wertvoll im monetären Sinne, sondern um genau passende Zuwendungen.

Den Effekt der Reziprozität kann der Gebende sich zunutze machen, indem er zunächst gibt, ohne eine direkte Gegenleistung zu erwarten. Achtung: Wer an dieser Stelle zu offensichtlich nur gibt, um sofort entlohnt zu werden, wird schnell durchschaubar. Geben Sie jedoch ohne direkte Erwartungen, so besteht eine große Chance, dass Sie dadurch bei Ihrem Gegenüber starke Verpflichtungen auslösen. Das ist einer der Gründe, warum selbst kleinste Zuwendungen an Beamte illegal sind.

Reziprozität: Kleine Aufmerksamkeiten machen Sie unvergesslich

Vor allem Versand- und Einzelhändler machen sich dieses Prinzip heute mehr denn je zunutze. Es vergeht wohl kaum ein Tag, an dem Sie Ihr E-Mail-Postfach öffnen und keinen Rabattcoupon eines Anbieters wiederfinden, bei dem Sie irgendwann einmal etwas bestellt haben. Auch im Einzelhandel sind wir es bereits gewohnt, dass unsere Kleinsten an der Fleischtheke nach dem erfolgreichen Einkauf noch ein Stück Wurst umsonst in die Hand gedrückt bekommen.

Ein anderes Beispiel aus dem Einzelhandel sind die sogenannten Verkostungsaktionen: Wie oft ist es Ihnen schon passiert, dass Sie während Ihres Einkaufs eine Kostprobe eines Produktes in die Hand gedrückt bekommen haben? – Wie oft haben Sie sich im Nachhinein dazu entschieden, dieses Produkt auch tatsächlich zu kaufen?

Klar: Gerade bei neuen Produkten dienen solche Aktionen in vielen Fällen auch dem reinen Marketing. Der Grundgedanke dahinter ist jedoch kein anderer als Reziprozität. Hatten Sie ein bestimmtes Produkt bei der Planung Ihres Einkaufs überhaupt nicht auf Ihrer Einkaufsliste, so landet es womöglich früher oder später dennoch in Ihrem Einkaufswagen, wenn Ihnen im Markt eine kostenlose Probe angeboten wird.

Verblüffend: In einem A/B-Test stellte man fest, dass die Rücklaufquote von Fragebögen viel höher ist, wenn man ein kleines Geschenk beilegt, z.B. einen 5-Euro-Gutschein. Die Rücklaufquote war sogar höher als bei einem Fragebogen, der bei erfolgreicher Rücksendung ein Geschenk in Höhe von 50 Euro in Aussicht stellte.

Reziprozität und Kontrastprinzip miteinander verbinden

Erinnern Sie sich noch an den Artikel zum Kontrastprinzip? Kombiniert können Reziprozität und das Kontrastprinzip eine interessante Wirkung entfalten.

Steht ein potenzieller Kunde durch eine frühere Gefälligkeit bereits in Ihrer „Schuld“, so können Sie in der Preisverhandlung ganz auf Ihr Wissen über das Kontrastprinzip setzen. Geschickt eingesetzte Kontraste („Die Nutzung des Produktes XY kostet Sie nur X Euro, spart Ihrem Unternehmen jedoch Jährlich Y Euro“, etc.) wirken dann im Zusammenspiel mit dem Gefühl in Ihrer Schuld und erhöhen dabei Ihre Chancen auf einen erfolgreichen Abschluss.

Strategie: Neuverhandlung nach Zurückweisung

Warum sollte man bewusst darauf abzielen, dass man zurückgewiesen wird? Es kann eine sehr starke Strategie sein, bei einer Verhandlung oder einem Angebot zunächst eine Ablehnung zu provozieren. Weil das vielleicht auf den ersten Blick verrückt erscheint, möchte ich das mit einer kleinen Geschichte erklären.

Stellen Sie sich vor, Sie sind auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung. Vielleicht ein Sommerfest der Gemeinde. Das Wetter ist schön. Ihre Laune ist gut. Und Sie werden von einem Pfadfinder angesprochen, der folgendes sagt: „Schön, dass Sie hier sind. Ich möchte Ihnen gerne unser neues Programm zur Wiedereingliederung von drogenkranken Jugendlichen vorstellen. Wir finanzieren es über ein Patenkonzept. Ihr Beitrag wäre lediglich 800 € pro Jahr.“ Was würden Sie wohl denken? Möglicherweise wäre ihre Antwort zurückhaltend und etwas in dieser Art: „Das ist aber viel Geld. Kann ich nicht anders helfen?“

Der Pfadfinder würde nun etwas enttäuscht eine kleine Tüte mit Keksen hochhalten und sagen: „Ja, sie könnten diese Tüte Kekse für 25 € erstehen.“ Rational betrachtet ist eine Tüte Kekse für 25 € natürlich viel zu teuer. Vermutlich ist Ihre Bereitschaft, diese 25€ auszugeben, in Folge des vorangegangenen Angebots jedoch enorm gestiegen. Auf jeden Fall ist ihre Bereitschaft höher, als wenn der clevere Pfadfinder gleich zu Beginn 25 € für eine Tüte Kekse verlangt hätte.

Diese Strategie der Neuverhandlung nach Zurückweisung vereint die beiden Effekte Kontrastprinzip und Reziprozität. Denn zum einen wirken die 25 € im Vergleich zu den 800 € eher gering. Und zum anderen ist Ihre Bereitschaft zur Zustimmung gestiegen, weil Sie ja bereits schon einmal Nein gesagt haben und in gewisser Weise dadurch dem Verhandlungspartner etwas schulden.

Es kann also sehr sinnvoll sein, sich ganz bewusst für die eigene Verhandlungsstrategie solche utopischen Forderungen zurecht zu legen, die einerseits einen Kontrast zum eigentlichen Angebot erzeugen und andererseits den Verhandlungspartner animieren, spätestens beim zweiten Mal Ja zu sagen.

Reziprozität im Geschäftskundenvertrieb

Clevere Verkäufer sind in der Lage, die geschilderten Effekte für die eigene Arbeit gezielt einzusetzen. Wie wäre es beispielsweise, wenn Sie bei der Akquise den nun als nächstes anstehenden Gesprächstermin auf etwas andere Weise vereinbaren: Statt wie bisher standardmäßig als erstes einen Besuch beim Kunden anzubieten, ändern Sie Ihre Strategie. Sie verlangen zunächst, dass der Kunde Sie besucht. Wenn er das ablehnt, können Sie gemäß der Strategie Neuverhandlung nach Zurückweisung anbieten, dass Sie in diesem Ausnahmefall ihn besuchen werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Angebot nun angenommen wird, ist wesentlich größer, als wenn Sie von vornherein einen Besuch angeboten hätten.

Die Anwendung dieser Strategie ist auch bei Angeboten möglich. Wenn Sie beispielsweise nach einem längeren Verkaufsgespräch erreicht haben, dass der Kunde Kaufbereitschaft signalisiert, könnten Sie zunächst ganz bewusst etwas anbieten, das sozusagen die Maximallösung ist. Ganz ähnlich wie bei dem Pfadfinder könnten Sie dem Kunden die größtmögliche Investition vorschlagen. Obwohl Sie wissen, dass er vermutlich jetzt Nein sagt, kann diese Vorgehensweise sehr sinnvoll sein. Denn wenn Sie nun sofort im Anschluss ein kleineres, sehr genau passendes Konzept anbieten, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass nun eine positive Entscheidung fällt.

Die Anbahnung von Neukontakten – Leadgenerierung

In vielen Unternehmen ist die Gewinnung neuer Kontakte für die spätere Vertriebsarbeit ein wesentlicher Punkt. Unternehmen brauchen funktionierende „Maschinen“, um einen steten Zufluss von neuen Kaufinteressenten zu gewährleisten. In den meisten Unternehmen ist dies die Aufgabe des Marketings. Weil die Grenzen zwischen Vertrieb und Marketing immer weiter verschwimmen, wird es auch Verkäufer interessieren, dass neue Methoden des Marketings wesentlich bessere Ergebnisse bei der Leadgenerierung bringen.

Modernes Content Marketing basiert auf dem Prinzip der Reziprozität. Dabei geht es vor allem darum, dass im Gegensatz zum alten Marketing nicht nur über eigene Produkte, deren Nutzen und deren Preis gesprochen wird. Content Marketing vermittelt wertvolle Inhalte, die für eine sehr fein ausgewählte Zielgruppe relevant sind. Sobald klar ist, welche Art von Personen als Neukunden gewonnen werden soll, wird untersucht, was diese Personen interessiert. Dabei ist es entscheidend, dass man nicht vom eigenen Produkt oder Angebot ausgehend denkt, sondern ganz bewusst den Interessenshorizont der Zielgruppe berücksichtigt.

Als Beispiel lassen Sie uns einen Hersteller von Rosendünger wählen. Während dieser im alten Marketing-Denken vor allem über die Vorzüge und Eigenschaften seines Produktes reden würde, wird er im modernen Marketing die Interessen der Zielgruppe berücksichtigen. Nehmen wir an, die Zielgruppe wären private Rosenzüchter. Die interessieren sich auch für Dünger, aber nicht ausschließlich. Die Bandbreite des Interesses reicht von unterhaltsamen Bildern von Rosen über Reisebeschreibungen zu den schönsten Rosengärten bis bin zu praktischen Anleitungen für neue Schnitttechniken und Schädlingsbekämpfung ohne Chemie. Nehmen wir an, der Hersteller von Rosendünger würde Artikel, Videos, Rezepte, Checklisten und Ähnliches produzieren, was von den Rosenzüchtern als wertvolle kostenlose Zugabe gerne angenommen wird. Nehmen wir an, der Hersteller würde diese kostenlosen hilfreichen Informationen im Tausch gegen eine E-Mail-Adresse anbieten. Nehmen wir weiter an, dass im Anschluss an diese E-Mail-Adresse eben nicht sofort Werbeaussagen versendet werden, sondern weitere hilfreiche und wertvolle Informationen. Nach einiger Zeit würde sich sicherlich bei der Zielgruppe eine gewisse Zuwendung entwickeln. Wenn also nach einigen hilfreichen und wertvollen Informationen und kostenlosen Informationsgeschenken irgendwann einmal ein konkretes Produktangebot käme, wäre die Wahrscheinlichkeit größer, dass nun dieses Angebot angenommen wird.

Wenn Sie in Ihrer Branche eine eher kleine und spezialisierte Zielgruppe ansprechen, dann kann diese Strategie für Sie ganz besondere Vorteile bieten. Je klarer die Zielgruppe ist, desto einfacher ist es, die konkreten Interessen der Zielgruppe zu finden und darauf zugeschnittene Informationsangebote zu erzeugen. Wenn neue Kontakte über deren vorhandenes Interesse angezogen werden und sich freiwillig für eine Kommunikation per E-Mail zur Verfügung stellen, dann kann sich daraus im Verlauf weniger Tage oder Wochen eine Beziehung entwickeln, obwohl noch kein einziger persönlicher Dialog stattgefunden hat. Viele Unternehmen nutzen diese Strategie, um kostengünstig Leads zu generieren und Neukunden zu gewinnen.

Ich möchte Ihnen in diesem Zusammenhang ein Unternehmen empfehlen, das sich in dieser Methode des modernen Marketings bereits einen Namen gemacht hat. Sie können sich mit diesem Link das kompakte E-Book anfordern, das die Methodik erklärt und die Vorgehensweise erläutert.

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