Vielleicht haben Sie schon einmal etwas von dem „Verknappungsprinzip“ gehört? Vermutlich nicht exakt in diesem Wortlaut. Dennoch glaube ich, dass auch Sie bereits mit diesem Prinzip konfrontiert wurden. Alles, was nur begrenzt verfügbar ist, hat einen höheren Wert als beliebig verfügbare Güter oder Leistungen. Womöglich hat das Gefühl der Verknappung sogar schon häufiger dazu geführt, dass Sie eine Handlung vollzogen haben, die Sie unter anderen Umständen wahrscheinlich noch einmal überdacht hätten.

Der Psychologe Stephen Worchel untersuchte das Prinzip der Verknappung unter wissenschaftlichen Bedingungen. Er entdeckte ein Phänomen, nach dem Menschen eine Vorliebe für quantitativ begrenzte Güter – unabhängig von deren Qualität – zeigen. Das bedeutet, dass die Knappheit unterbewusst höher bewertet wird als die objektive Werthaltigkeit. Ein nur begrenzt verfügbares Angebot bringen die Menschen mit Exklusivität, und hoher Qualität in Verbindung. Das ist inzwischen bewiesen.

Der Versuchsaufbau war simpel: Worchel bat in einem als Verbraucherstudie getarnten Experiment verschiedenste Probanden darum, die Qualität eines Schokokekses subjektiv zu bewerten. Dazu füllte er zehn Kekse in ein Gefäß und zwei Kekse der gleichen Sorte in ein anderes. Die Kekse aus dem Behältnis, in dem nur zwei zu finden waren, bekamen fast durchgehend bessere Kritiken. Darüber hinaus stellte Worchel fest, dass die Probanden die Qualität der Kekse kontinuierlich höher einschätzten, je weniger Kekse im Gefäß vorhanden waren. Die subjektive Wahrnehmung der Qualität des Gebäcks stieg also mit sinkender Anzahl von Keksen in dem Glas.

Das Knappheitsprinzip besagt demnach, dass uns die Möglichkeiten um uns herum attraktiver erscheinen, je weniger sie erreichbar sind.

Der Gedanke, etwas verlieren oder verpassen zu können, motiviert offenbar sehr stark. So könnte auch der Effekt erklärt werden, dass fast alle Menschen dazu tendieren, ein persönliches Gespräch zu unterbrechen, wenn das Telefon klingelt. Wenn man nicht abnimmt, besteht die Gefahr, nie zu erfahren, was der Anrufer wollte. Auch in Zeiten der Anrufbeantworter gilt dies weiter, obwohl der Anrufer ja – wenn es wichtig ist – eine Nachricht hinterlassen könnte und nicht verloren wäre.

Diverse Studien haben dies bewiesen. Zum Beispiel ist es effektiver Raucher darauf hinzuweisen, wie viele Jahre sie weniger leben werden als ihnen aufzuzeigen, wie viele Jahre sie hinzugewinnen, wenn sie das Rauchen aufgeben.

Der Vertriebspsychologe Robert Cialdini ergänzt diese Erkenntnis sinngemäß mit folgendem Zitat:

„Die Freude ist nicht die direkte Erfahrung einer knappen Ware, sondern allein der Besitz einer solchen. Es ist wichtig, diese Punkte nicht zu verwechseln.“

Verknappung (oder engl. „Scarcity“) ist ein Erfolgsrezept

In Bezug auf den Kunden kann man dieses Prinzip auch als Torschlusspanik bezeichnen. Ein guter Verkäufer vermittelt seinem Kunden glaubhaft, dass er sich schnell entscheiden muss, da er ansonsten leer ausgehen wird. Viele Menschen neigen in solchen Situationen dazu, den Nutzen eines Produktes nicht mehr so sehr zu beachten und sich vom Handlungsdruck beeinflussen zu lassen.

Beispiele für den Einsatz dieses Prinzips gibt es vor allem im Online-Handel mehr denn je: Händler werben mit begrenzten Stückzahlen oder gaukeln dem Kunden vor, dass gleichzeitig mit ihm mehrere andere Kunden an einem Produkt interessiert sind. So wird man beispielsweise beim Buchen eines Hotelzimmers auf nahezu allen Plattformen darauf hingewiesen, dass nur noch eine begrenzte Anzahl von Zimmern verfügbar ist. Gleichzeitig verbinden Betreiber solcher Buchungsplattformen dieses Phänomen mit dem der sozialen Bewährtheit, indem Sie uns zeigen, dass bereits X andere Menschen sich heute für ein Zimmer in unserem Wunschhotel entschieden haben.

Der Gedanke daran, ein vermeintlich gutes Angebot zu verpassen, ist für viele Menschen so unangenehm, dass es häufig zu einer spontanen Kaufentscheidung führt.

In manchen Produktbereichen wird die Verknappung nicht nur vorgegaukelt, sondern bewusst hergestellt. Das gilt vor allem für Produkte, die einen wichtigen Nutzen haben, der jedoch neben dem zu bezahlenden Preis noch einen zusätzlichen Mitteleinsatz bedeutet. Für Privatkunden wären das beispielsweise eine Mitgliedschaft im Fitnessclub. Oder die Teilnahme an einer Weiterbildung. Bei diesen Beispielen wird der Nutzen (körperliche Fitness oder eine neue Fähigkeit) nicht durch den Kauf an sich bewirkt, sondern muss durch den Kunden mit eigenem Zeiteinsatz erst hergestellt werden.

In diesen Fällen tendieren die Menschen zu „Aufschieberitis“ oder wie der Fachbegriff richtig lautet: „Prokrastination“. Wenn der Kunde zu jedem beliebigen Zeitpunkt die Kaufentscheidung treffen kann, wird er dazu tendieren die Entscheidung zu verschieben. Beispielsweise könnten Sie in Bezug auf eine sehr sinnvolle Weiterbildungsmaßnahme denken: „Das ist ein toller Kurs. Den mache ich, sobald der Sommer vorbei ist. Dann habe ich mehr Ruhe, um mich abends auch mal zum Lernen hinzusetzen.“ Selbstverständlich findet man im Herbst einen anderen Grund um noch nicht damit zu beginnen.

Anbieter von Online-Kursen haben festgestellt, dass sie die Anzahl der Verkauften Kurse deutlich erhöhen können, wenn sie diese nur zu bestimmten Tagen anbieten. Anstatt den Kurs an 365 Tagen im Jahr online zum Kauf zur Verfügung zu stellen, lässt sich der Absatz verdreifachen, indem man den Kurs nur an einem oder zwei Tagen zum Kauf anbietet. An allen anderen Tagen besteht lediglich die Möglichkeit, sich auf eine Warteliste zu setzen. Der Tag an dem ein Kauf möglich ist, wird dann angekündigt und alle auf der Warteliste werden darauf hingewiesen, dass jetzt der einzige Moment ist, um den Kurs zu erwerben.

So nutzen Sie das Prinzip der Verknappung

Wenn Sie sich fragen, wie sie diesen Ansatz im Umgang mit Geschäftskunden einsetzen können, dann helfen Ihnen vielleicht diese Ideen:

  • Weisen Sie darauf hin, dass Ihr Produkt erst kürzlich knapp geworden ist. – Ein Produkt, dessen Verfügbarkeit unter ständiger Knappheit leidet, wirkt auf Dauer weniger attraktiv. Smartphone Hersteller wie Apple oder Samsung profitieren von diesem Effekt jedes Jahr kurz nach Veröffentlichung ihrer neuen Flaggschiffe.
  • Erzeugen Sie Zeitdruck, indem Sie ein Angebot nur für eine begrenzte Zeit als solches deklarieren. Das dürfte allerdings nur dann funktionieren, wenn Sie begründen können, warum der Zeitpunkt so gewählt wurde. Diese Begründung muss nicht logisch sein. So sind Menschen es gewöhnt, dass es beispielsweise zu einem Firmenjubiläum besondere Angebote gibt, obwohl es keinen logischen Grund dafür gibt.
  • Machen Sie Ihre Kunden zu Wettstreitern: Nichts ist schlimmer, als zu sehen, dass ein anderer ein vermeintlich begehrtes Produkt vor Ihnen ergattern konnte – die Wirksamkeit dieses Vorgehens wird regelmäßig am Wühltisch im Einzelhandel bewiesen
  • Machen Sie sich selbst rar. Wenn Sie zu jedem beliebigen Zeitpunkt für den Kunden bereit stehen, hat das vielleicht eine hohe Servicequalität, aber gleichzeitig auch einen geringen Wert. Bei der Terminplanung könnten Sie beispielsweise auf Ihren vollen Kalender hinweisen. Eine Terminvereinbarung mit Ihnen ist möglich, aber nicht zu jedem beliebigen Zeitpunkt.
  • Verknappen Sie Ihre besten Mitarbeiter und Kollegen. Wenn der Top-Entwickler, der oberste Geschäftsführer oder der beste Service-Ingenieur schon vor Vertragsabschluss beliebig für den Kunden zur Verfügung stehen, dann hat das einen geringeren Wert, als wenn er sich den Zugang erst „verdienen muss“.
  • Machen Sie Ihre Referenzkunden rar. Wir haben in einem vorangegangenen Artikel bereits auf die positive Wirkung von „sozialer Bewährtheit“ hingewiesen. Allerdings sollte das nicht dazu führen, dass Sie den Kontakt zu diesen Referenzen anbieten wie „sauer Bier“. Der potentielle Kunde sollte sich den Kontakt zum Referenzkunden erst verdienen müssen. Was damit gemeint ist, finden Sie in einem ausführlichen Artikel zum Referenzkunden.

Verknappung und die Moral

Ist der Einsatz der Verknappung als Methode zur Verkaufsförderung moralisch korrekt? – Diese Frage lässt sich relativ einfach beantworten: Falsche oder künstliche Verknappung funktioniert heute in einigen Fällen zwar noch (z.B. im Teleshopping), kann in vielen Fällen jedoch auch dazu führen, dass ein Anbieter unseriös wirkt: Wenn ein Anbieter beispielsweise damit wirbt, dass ein Produkt X nur noch fünfmal verfügbar ist – und das über einen längeren Zeitraum, dann kann dieses Vorgehen darin resultieren, dass seine Reputation beim Verbraucher Schaden nimmt.

Im Gegensatz dazu, kann eine natürliche Knappheit oder eine hohe Exklusivität ein Produkt begehrenswerter machen. Erfolgreiche Weltkonzerne wie Apple oder Samsung zeigen dieses Prinzip jedes Jahr aufs Neue bei der Einführung ihrer Smartphone Flaggschiffe, die regelmäßig für einen gewissen Zeitraum nur schwer zu bekommen sind. Das führt im Umkehrschluss dazu, dass die Geräte noch mehr den Wunsch im Konsumenten hervorrufen, sie besitzen zu wollen.

Das Prinzip der Knappheit ist in der Psychologie ausführlich untersucht und bestätigt. Ein weiterer positiver Effekt: Sogar nach dem Kauf kann dieses Prinzip noch für positive Stimmung beim Kunden sorgen, indem es für ein Überlegenheitsgefühl sorgt und den Gedanken beim Kunden verstärkt etwas bekommen zu haben, was anderen vorerst verwehrt bleibt.