Kapitel 7: Motiv-Forschung – In Zeiten des Überangebotes müssen wir dem Nutzen ein klares Handlungsmotiv zur Seite stellen

Wir leben in einer Zeit, in der Zwänge selten geworden sind. Wir haben Optionen, Möglichkeiten, Alternativen und die Wahl. Aus einer Welt des Müssens ist eine Welt des Könnens geworden. das betrifft unsere privaten Entscheidungen ebenso wie geschäftliche Entscheidungen. Professionelle Berater und Verkäufer wollen sich mit dieser Ausgangssituation auseinandersetzen und ihre besten Handlungsmöglichkeiten abwägen.

In diesem Kapitel werden wir erarbeiten, wie wir den Konjunktiv zum Imperativ entwickeln. Es wird dabei helfen, das „könnte vielleicht“ zum „muss jetzt“ zu steigern und eine Entscheidung des Kunden zu bewirken – oder eben selbst die professionelle Entscheidung zu treffen, einen anderen Kunden zu suchen. Dieses Kapitel betrifft die vielleicht wichtigste Eigenschaft des modernen Verkäufers. Es ist der entscheidende Schritt, um die trockene Spreu vom ergiebigen Weizen zu trennen.

 

Woche 25 – Leben ohne Zahnseide? Auswirkungen machen Probleme klar und dringlich

Im vergangenen Kapitel haben wir über Fragen gesprochen, die Situationen klären und Probleme offen legen. Jetzt wissen wir, wo der Schuh drückt. Jetzt haben wir das Handlungsmotiv, um Dinge zu verändern. Das gefundene Problem ist ein wichtiger Baustein, um eine Investitions- oder Kauf-Entscheidung zu bewirken. Allerdings ist es eben nur ein Baustein auf dem Weg zu einer Kunden-Entscheidung.

Viele weniger erfahrene Verkäufer machen den häufigen Fehler, dass sie auf der Basis eines gefundenen Problems sofort in die Lösungsdiskussion gehen. Das ist allerdings falsch. Lassen Sie mich bitte erklären, was ich damit meine.

Die eben getroffene Aussage, das Problem alleine reiche noch nicht, bezieht sich auf eher komplexere Entscheidungssituationen im Geschäftskunden-Umfeld. Bei weniger komplexen Entscheidungen kann sofort nach dem Problemverständnis eine Lösung gefunden werden. Sehen wir uns folgendes Beispiel an: Stellen Sie sich vor, Ihre alte Kamera ist defekt und Sie möchten für Ihre nun anstehende Urlaubsreise eine neue Kamera mitnehmen. Geplant ist eine Städtereise. Die Kamera sollte also hochwertig aber nicht zu groß sein, damit man sie ohne großen Aufwand in eine Tasche stecken kann. Hier sind die Situation und das Problem relativ eindeutig. Deswegen kann ein guter Verkäufer, sofort nachdem er das Problem verstanden hat, einen Lösungsvorschlag machen.

Die Sachlage wird allerdings völlig anders, wenn es um ein komplexes geschäftliches Problem geht, das Ihr Kunde lösen will. Nehmen wir an, es geht darum, dass Unternehmenssoftware an ein mittelständisches Unternehmen verkaufen werden soll. Die Problematik ist, dass die bestehende Software vor langer Zeit von einem ehemaligen Mitarbeiter programmiert und implementiert wurde, der inzwischen nicht mehr im Unternehmen ist und auf den man nicht mehr zurückgreifen kann. Jetzt können wichtige Veränderungen oder Erweiterungen der Software nicht mehr durchgeführt werden. Außerdem ist unklar, ob künftige Betriebssystemupdates noch kompatibel zu dieser Unternehmenssoftware sein werden. Ein weiteres Problem ist, dass sich neuere Mitarbeiter mit der eher altmodischen Benutzer-Oberfläche der Software nur schwer anfreunden können.

Hören wir uns den Ausschnitt des diesbezüglichen Dialogs an:

Verkäufer: Lieber Kunde, was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Probleme mit Ihrer Software? Was liegt Ihnen am Herzen?

Kunde: Ich denke, das wichtigste Problem ist, dass wir heute eine selbst gestrickte Software haben, die nicht mehr weiterentwickelt werden kann.

Verkäufer: Verstehe. Das bedeutet, dass Sie im Moment wichtige Änderungen nicht umsetzen können. Und darüber hinaus: Was sind aus Ihrer Sicht weitere wichtige Probleme?

Kunde: Naja, zusätzlich zu dieser Starrheit taucht das Problem auf, dass künftige Betriebssystem-Updates auf den benutzten PCs und Notebooks sich vielleicht nicht mehr mit unserer Unternehmenssoftware vertragen.

Verkäufer: Ah. Also besteht die Befürchtung, dass neuere Versionen – beispielsweise eine neue Windows-Version – nicht mehr mit der Unternehmenssoftware zusammenarbeiten können. Und zusätzlich zu den beiden genannten Punkten – gibt es noch weitere Prioritäten, die wir besprechen sollten?

Kunde: Ein weiterer Punkt ist, dass die Software aus den frühen neunziger Jahren stammt und heute sicher nicht mehr den modernen Anforderungen an die Benutzerführung genügt. Vor allem neue Mitarbeiter haben erhebliche Schwierigkeiten, sich mit diesem System zurechtzufinden.

Verkäufer: Gut. Ich habe mir die drei genannten Probleme notiert, also die Tatsache, dass nicht weiter angepasst werden kann, dass eventuelle Inkompatibilitäten auftreten werden und dass Ihre Mitarbeiter Schwierigkeiten mit der Benutzung der bestehenden Software haben. Welcher der genannten Punkte ist aus Ihrer Sicht der Wichtigste?

Kunde: Ich denke, bedrohlich ist vor allem die Inkompatibilität, die auf uns zukommen könnte.

Verkäufer: Auf der Basis moderner Unternehmenssoftware können wir Ihnen da sofort eine Lösung anbieten. Wir empfehlen eine moderne ERP Software, die innerhalb kürzester Zeit in Ihrem Unternehmen implementiert werden kann und an Ihre bestehenden Prozesse angepasst ist.

Kunde: Was kostet mich das?

Verkäufer: Zum jetzigen Zeitpunkt ist es noch schwierig zu sagen, was die genaue Investitionssumme sein wird, aber ich denke, dass Sie eine Größenordnung von etwa 30.000 Euro anpeilen sollten.

Kunde: Was? 30.000 Euro? Das erscheint mir aber sehr heftig für so ein Software-Update.

 

Was ist geschehen? Der Verkäufer hat hier stark vereinfacht, aber sicherlich vorbildlich die Problemsituation untersucht. Er hat die unterschiedlichen Aspekte herausgearbeitet und sogar noch die Wichtigkeit der genannten Punkte bewertet. Allerdings hat er, nachdem er das Problem verstanden hat, wichtige Punkte der Fragetechnik übersprungen. Er hat vergessen, den Handlungsdruck  nachzuvollziehen. Was ist damit gemeint?

Betrachten wir die Entscheidungssituation des Kunden am Beispiel eines einfachen alltäglichen Themas: Wenn Sie in letzter Zeit bei einem Vorsorgetermin Ihres Zahnarztes waren, dann hat er Ihnen sicherlich dazu geraten, weiterhin Zahnseide zu benutzen. Denn falls Sie auf die Benutzung von Zahnseide verzichten, kann es zu ernsthaften Erkrankungen im Mund kommen. Wenn Sie nicht die Beläge, die sich automatisch bilden, regelmäßig entfernen, dann können sich gefährliche Bakterien festsetzen und die Zahngesundheit erheblich verschlechtern. Letztendlich drohen dadurch Zahnfleischschwund und Zahnausfall. Man könnte sagen, das ist ein ernsthaftes Problem. Und dennoch wissen wir, dass viele Menschen keine regelmäßige Anwendung von Zahnseide in ihren Alltag eingebaut haben. Woran liegt das? Das Problem ist doch klar! Weshalb wird dennoch auf eine Lösung verzichtet?

An diesem Beispiel zeigt sich, dass Handlungsdruck nicht durch das Problem an sich, sondern erst durch die dadurch verursachten Schmerzen erzeugt wird. Es ist in der Regel nicht schmerzhaft, keine Zahnseide zu verwenden. Ebenso gibt es kaum offensichtliche Schmerzen, wenn ein unternehmerisches Problem sich langsam aufgebaut hat. Der Schmerz befindet sich nicht an der Oberfläche. Deshalb muss ein professioneller Verkäufer in der Lage sein, diesen Schmerz im Kundengespräch freizulegen und ihn für den Kunden spürbar zu machen.

Was wäre wohl geschehen, wenn der Verkäufer nicht gleich eine Lösung angeboten, sondern stattdessen weitere Fragen gestellt hätte, um die Auswirkungen des Problems zu verstehen? Der Dialog wäre dann vielleicht so weiter gegangen:

Verkäufer: Gut. Ich habe mir die drei genannten Probleme notiert, also die Tatsache, dass die Software nicht weiter angepasst werden kann, dass eventuelle Inkompatibilitäten auftreten werden und dass Ihre Mitarbeiter Schwierigkeiten mit der Benutzung der bestehenden Software haben. Welcher der genannten Punkte ist aus Ihrer Sicht der wichtigste?

Kunde: Ich denke, bedrohlich ist vor allem die Inkompatibilität, die auf uns zukommen könnte.

Verkäufer: Sehr geehrter Kunde, in meiner Funktion werde ich häufig mit Situationen dieser Art konfrontiert. Viele Unternehmen in Ihrer Branche haben ähnliche Schwierigkeiten mit drohender Inkompatibilität. Was bringt Sie dazu, jetzt etwas dagegen unternehmen zu wollen?

Kunde: Naja. Ich denke eben, wir sollten jetzt dringend etwas tun.

Verkäufer: Wenn ich Sie richtig verstehe, dann ist dieses Problem ja nicht plötzlich und erst gestern entstanden. Das heißt, in den vergangenen Wochen, Monaten und vielleicht Jahren konnten Sie ganz gut damit leben. Weshalb möchten Sie jetzt investieren, um die Situation zu bereinigen?

Kunde: Die Stabilität unserer Lieferlogistik hängt zu 100 Prozent von unserer Software ab. Wenn wir diese Software aus irgendeinem Grund nicht mehr verwenden könnten, würde sich das erheblich auf die Überlebensfähigkeit des Unternehmens auswirken. Deshalb müssen wir noch dieses Jahr etwas tun. 

Verkäufer: Bitte helfen Sie mir, den Handlungsdruck zu verstehen, der sich für Sie im Moment ergibt. Weshalb müssen Sie noch dieses Jahr dringend etwas ändern? Weshalb nicht, sagen wir, nächstes Jahr in der ruhigen Sommerzeit? 

Kunde: Der Zusammenhang zwischen ERP-Software und Unternehmenserfolg ist auch unserer Hausbank klar. Für die Verlängerung diverser Kredite im nächsten Geschäftsjahr ist nach geltenden Vorschriften wegen der veralteten Software ein Risikozuschlag fällig. Wenn wir hier nicht zeigen können, dass unnötige Risiken beseitigt worden sind, dann könnte sich das mit mehr als einem Prozent Verschlechterung der Zinssätze bemerkbar machen.

Verkäufer: Ein Prozent Zinserhöhung. Welche monetären Konsequenzen hätte das in etwa für Ihr Unternehmen ab dem kommenden Geschäftsjahr?

Kunde: Nun, das wollen wir ja gerade vermeiden. Rein kalkulatorisch ergeben sich bei unserem Stand des Fremdkapitals zusätzliche Finanzierungskosten in der Größenordnung von etwa 45.000 Euro pro Jahr.

 

Dieser Gesprächsverlauf zeigt die besondere Kraft, die durch gute Auslegungsfragen entstehen kann. Sicherlich ist der hier dargestellte Verlauf optimal. Möglicherweise wird der Kunde diese Art von Auswirkungen nicht alleine entdecken. Dennoch kann diese Technik angewendet werden. Sollte auf die offene Frage nach den Auswirkungen keine gute Kundenantwort kommen, dann kann durch geschlossene Fragestellungen der gleiche Effekt erzielt werden. Hier ein Beispiel für einen anderen Verlauf des Gesprächs:

Verkäufer: Weshalb möchten Sie jetzt investieren, um die Situation zu bereinigen?

Kunde: Den deutlichen Druck sehe ich im Moment nicht.

Verkäufer: Die Erfahrung mit anderen Unternehmen in Ihrer Branche zeigt, dass die kreditgebenden Banken das Risiko von Ausfällen der Unternehmenssoftware mit Aufschlägen der Kreditzinsen bestrafen. Welche Auswirkungen sehen Sie bezüglich dieses finanziellen Risikos?

Kunde: Ja, das hätte sicherlich Auswirkungen auf unsere Finanzierungskosten. Wenn nur ein halber Prozentpunkt Aufschlag entstehen würde, dann wären das sicherlich Kosten, die mehr als 20.000 Euro pro Jahr betragen.

 

Dieses Beispiel zeigt, dass es eine gute Idee ist, wenn Verkäufer die grundsätzlichen Zusammenhänge von Risiken und Auswirkungen in ihrem Kundenumfeld verstehen. Erfahrung hilft. Noch besser ist es jedoch, wenn die einzelnen Verkäufer ihre Erfahrungen über typische Schmerzen von Kunden austauschen und aufschreiben. Wenn es wie in diesem Beispiel gelingt, durch offene oder im zweiten Versuch durch geschlossene Fragen typische Schmerzpunkte des Kunden zu identifizieren, dann ist es in der Folge wesentlich leichter, den Handlungsdruck für den Kunden aufrecht zu erhalten. Wenn umgekehrt kein Handlungsdruck besteht, dann wird er vermutlich auch das größte Problem weiterhin ertragen. Deshalb ist diese Episode, die sich mit dem Herausarbeiten des Handlungsdrucks beschäftigt, vor allem für Berater und Verkäufer von komplexen Unternehmenslösungen und Beratungsprojekten absolut entscheidend.

Wenn der Kunde trotz cleverer Anwendung von Auslegungsfragen keinen Handlungsdruck für sich erkennen kann, dann ist es sicherlich besser, das Verkaufsprojekt an dieser Stelle zu beenden. Wenn eine Frage nach dem Schema „Weshalb wollen Sie dieses Problem nun beseitigen?“ vom Kunden nicht beantwortet werden kann, dann ist das gut. Viele Verkäufer werden jetzt vermutlich die Stirn runzeln. Weshalb sollte das gut sein? Schließlich bringe ich durch diese Frage den Kunden ja geradezu auf den Trichter, keine Lösung anschaffen zu wollen. Auf den ersten Blick ist es deswegen keine gute Idee, solche Fragen zu stellen. Bei genauerer Betrachtung sind sie jedoch sehr wichtig, denn wenn ich den Kunden in meiner Gegenwart durch passende Fragen zu diesen Überlegungen führe, dann kann ich eventuell noch Einfluss nehmen. Eines ist schließlich klar: Spätestens wenn das Angebot mit der Investitionssumme auf dem Tisch liegt, wird sich der Kunde genau diese Fragen ohnehin stellen: „Brauche ich das wirklich? Kann ich denn nicht auch ohne diese Investition weitermachen?“ Deswegen halte ich es für essenziell, dass diese Art von Fragen trotz des vordergründigen Risikos im gemeinsamen Gespräch gestellt werden. Der Verkäufer hat dann die Möglichkeit, den Handlungsdruck gemeinsam mit dem Kunden zu erarbeiten. Die Gefahr, dass sich der Kunde die Auswirkungsfragen sonst alleine und in Abwesenheit des Verkäufers stellen wird, ist wesentlich größer.

Wenn nun kein Handlungsdruck gefunden werden kann, dann sollte die Verkaufschance beendet und die freigewordene Zeit stattdessen in das Auffinden neuer Kundenpotenziale investiert werden. Hoffnung ist selten ein guter Berater. Wenn kein Handlungsdruck gefunden werden kann, ist ein Ende mit Schrecken für das verkaufende Unternehmen besser als Meetings, Angebote, Präsentationen und Nachfassversuche ohne Ende. Sie erinnern sich an die wichtigste Aufgabe im Geschäftskundenvertrieb, die wir in Woche zwei behandelt haben? Trenne die Chancen von den Nicht-Chancen!

Der Handlungsdruck ist einer von zwei wesentlichen Faktoren, um die Entscheidung bei komplexen Problemen und umfassenden Lösungen zu beschleunigen. In der kommenden Woche beschäftigen wir uns mit der zweiten Komponente, die für komplexe Unternehmensentscheidungen absolut notwendig ist, um latenten Bedarf in konkreten Bedarf umzumünzen.

2023-01-04T14:25:45+01:00 16. Juni 2014|Verkaufsgespräch|0 Kommentare

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