Sobald ein potenzieller Kunde zum Gespräch bereit ist, brauchen wir eine gute Bedarfsanalyse – und dabei sind die meisten Menschen im Vertrieb nicht konsequent genug. Warum? Ich denke, weil sie die vermeintlich beste Lösung schon im Kopf haben und den Kunden nur noch schnell von dieser Lösung überzeugen wollen. Warum das gefährlich sein kann und wie Sie künftig alles richtig machen, zeigt dieser Beitrag.

Du bist ein Scharlatan!

Stellen Sie sich vor, Sie haben sich beim Sport verletzt. Sagen wir am Knie. Erst dachten Sie, es heilt von selbst. Aber jetzt, nach ein paar Wochen vergeblicher Behandlungsversuche aus der Hausapotheke, sehen Sie ein, dass Sie professionelle Hilfe brauchen. Durch Zufall sprechen Sie mit einem alten Freund. Er sagt, dass er einen Kniespezialisten vor Ort kennt, der weltweiten Expertenruf genießt. Normalerweise bekommt man dort nur einen Termin, wenn man bereit ist, viele Monate zu warten – aber weil Ihr Freund mit diesem Kniespezialisten zusammen im Kindergarten war, kann er Ihnen schon übermorgen einen Termin beschaffen.

Gerne nehmen Sie das Angebot an und sitzen zwei Tage später im Wartezimmer. Als Sie aufgerufen werden, humpeln Sie zum Behandlungsraum, klopfen an und treten ein. Sie gehen ein paar Schritte auf den hinter seinem Schreibtisch wartenden Mediziner zu, der Ihren Gang genau beobachtet. Kaum sind Sie drei Schritte gegangen, sagt der Arzt: „Wunderbar. Ich sehe gleich, was Ihnen fehlt.“ Er schnappt sich einen Rezeptblock, kritzelt kurz darauf herum, reicht Ihnen das Rezept und sagt freundlich lächelnd: „Danke, dass Sie hier waren. Das können Sie sich unten in der Apotheke holen. Bitte drei Mal am Tag einreiben, dann müsste in vier Tagen alles wieder gut sein…“

Behandlung ohne Diagnose

Was denken Sie jetzt wohl über diesen angeblichen Promi-Arzt? Halten Sie ihn für professionell oder sogar für eine Koryphäe auf dem Gebiet der Knieverletzungen? Wohl kaum. Aber weshalb nicht? Schließlich sind Sie vermutlich selbst kein Knie-Experte und kaum in der Lage, seine Kompetenz zu beurteilen. Vielleicht konnte er tatsächlich anhand Ihres Humpelns Ihr Leiden eindeutig erkennen. Ein echter Super-Spezialist eben. Naja, vermutlich nicht wirklich. Eher ein Scharlatan? Weil er Sie nicht wirklich untersucht hat, sprechen Sie ihm die Kompetenz ab – und zwar ohne, dass Sie das wirklich einschätzen können.

Was wäre wohl gewesen, wenn der Arzt das Rezept heimlich schon während Ihres Gangs zur Behandlungsliege geschrieben hätte? Dann hätte er sich zehn Minuten Zeit genommen, um Ihr Knie zu betasten, ein paar Bewegungen damit zu machen und Ihnen einige Fragen zur Verletzung und Ihren Beschwerden zu stellen. Im Anschluss hätten Sie dann das exakt gleiche Rezept mit den exakt gleichen Worten ausgehändigt bekommen. Was würden Sie in diesem Fall von ihm denken?

Bedarfsanalyse erzeugt Kompetenz

Ich denke, diese beiden Varianten der Arzt-Geschichte machen deutlich, dass die Kompetenzanmutung von Experten nicht durch eine schnelle Diagnose, sondern durch eine ausreichende Anamnese gestärkt wird. Bezogen auf den Geschäftskundenvertrieb bedeutet das, dass frühzeitige Lösungsvorschläge kaum hilfreich sind. Selbst wenn Sie als ausgewiesener Experte sofort erkennen, wie Sie die Probleme Ihrer Kunden bestmöglich lösen können, sollten Sie sich viel Zeit nehmen, um ihre Sorgen zu hinterfragen und ihre Situation genau zu verstehen.

Besonders dann, wenn Sie schon viele ähnliche Kundensituationen kennengelernt haben, werden Sie den Reiz verspüren, so schnell wie möglich mit einer Lösung zu glänzen. Schließlich sind Sie besonders erfahren, und es macht Sie sicher auch ein wenig stolz, Ihre Expertise zur Schau stellen zu können.

Wenn Sie allerdings Ihrem inneren Drang folgen und die verlockende Abkürzung nehmen, schaden Sie sich und Ihrem Ruf als Problemlöser. Insbesondere erfahrene Berater tappen oft in diese Falle.

Bedarfsanalyse mit Methode

Eines ist sicher klar: Wer kein Problem hat, braucht auch keine Lösung. Und wer kein Problem hat, ist selten bereit, Geld zu investieren. Also ist es sinnvoll, zunächst herauszufinden, welches Problem einen Kunden zu einer Handlung – also einer Investition oder einem Kauf – bewegen könnte.

Vielleicht haben Sie schon mal den Spruch gehört „Es gibt keine Probleme, nur Herausforderungen“. Es soll sogar Experten geben, die empfehlen, den Begriff Problem komplett aus dem Wortschatz zu entfernen. Sie sagen, dass die Verwendung dieses Wortes die Gedanken falsch lenken würde und dass der Begriff Chance ein guter Ersatz sei. Vielleicht haben Sie auch schon mal gehört, dass im Chinesischen die Schriftzeichen für Krise und Chance die gleichen seien. Davon abgesehen, dass das nicht stimmt, halte ich diese Wortverbote für Unsinn. Sonst müsste man auch Worte wie Krankheit in Gesundheitsgelegenheit umbenennen. Wäre das nicht albern? Und was machen wir mit dem Wort Unfall? Also sehen Sie es mir bitte nach, wenn ich weiterhin die Dinge beim Namen nenne.

Lassen Sie uns akzeptieren, dass es für viele Menschen unangenehm ist, über ihre Probleme zu sprechen. Deshalb scheint die einfache Frage „Was haben Sie für ein Problem?“ für unsere Zwecke ungeeignet. Was können wir also ersatzweise fragen, wenn wir herausfinden wollen, welches Motiv unseren Gesprächspartner auf den Gedanken bringen könnte, eine Investition zu tätigen?

Bedarfsanalyse durch Fragen

Ehrliche Fragen sind der beste Weg, wenn man etwas herausfinden will. Das gilt ganz besonders für Fragen, die ein Problem ergründen sollen. Warum ist das so? Nehmen wir an, ich würde Ihnen eine aus meiner Sicht ganz neutrale und fachlich relevante Frage stellen. Eine Frage, die für mich wichtig ist, um mehr Verständnis für Ihre Situation aufzubringen. Die Frage lautet: „Haben Sie Schwierigkeiten mit Fußpilz?“

Sie merken sofort, dass diese Frage aus Sicht des Empfängers ganz leicht als Unterstellung verstanden werden kann. So sachlich sie vom Fragesteller gemeint sein mag, klingt diese geschlossene Problemfrage im Kopf des Angesprochenen wie: „Sie haben doch bestimmt auch Schwierigkeiten mit Fußpilz, stimmt’s?“ Das gilt selbstverständlich in gleicher Weise auch für jedes geschäftliche Problem. Nehmen wir an, Sie stellen einem Geschäftsführer die folgende aus Ihrer Sicht absolut sachlich gemeinte Frage: „Haben Sie auch Schwierigkeiten mit Ihrer bisherigen Anlage?“ Selbst wenn es gute Gründe für diese Frage gibt und man ganz sachlich darauf antworten könnte, ist es bei dieser Formulierung wahrscheinlich, dass Sie eine rebellische Antwort bekommen. Eine Antwort die, selbst wenn tatsächlich einige Probleme bestehen, ähnlich einem trotzigen Kind eher so lauten wird: „Bei uns ist alles prima!“

Dem Beweggrund auf die Spur kommen

Für professionelle Verkäufer ist das klar. Zumindest behaupten das die meisten Profis aus Verkauf und Beratung. Wenn ich diesen Punkt mit erfahrenen Verkäufern im Seminar bespreche, ernte ich fast immer ein mitleidiges Lächeln. „Das wissen wir längst. Das ist Stoff aus dem Anfängerkurs“, scheint der Gesichtsausdruck sagen zu wollen. Und dann ergibt sich oft eine überraschende Erkenntnis: Wenn später Praxisübungen anstehen, in denen die gleichen Teilnehmer in Rollenspielen ihre Verkaufsgespräche verbessern wollen, dann zeigt sich, dass es zwar in der Theorie klar ist, aber in der Praxis selten funktioniert. Mindestens jede zweite Frage zur Problemfindung wird geschlossen formuliert.

Warum weichen selbst erfahrene Profis von dem ab, was sie sich vornehmen? Warum stellen sie geschlossene Fragen, obwohl sie wissen, dass das keine gute Idee ist? Was läuft hier schief? Nun, ich denke es ist der Gewöhnungseffekt. Wenn Menschen in vielen Gesprächen mit ähnlichen Kunden immer wieder die gleichen Problemszenarien genannt bekommen, dann ändert sich ihre Erwartung. Sie gehen in Gespräche hinein und denken sich: „Der Kunde hat jetzt doch sicher wieder dieses Problem …“ Und meistens dürfte das auch stimmen. Jeder Berater, der seit vielen Jahren erfolgreich unterwegs ist, weiß, dass die Anzahl der typischen Probleme sehr klein ist – mit ganz geringen Variationen. Kein Wunder also, dass Verkäufer dazu tendieren, die Abkürzung zu nehmen. Und die schnellste Möglichkeit besteht darin, dem Kunden sinngemäß zu sagen: „So wie ich das sehe, ist das Ihr Problem, stimmt’s?“

Bauplan für Fragen zur Bedarfsanalyse

Wie sollte eine gute Frage aufgebaut sein? Wie stellt man Fragen, die ein Gesprächspartner gerne beantworten wird? Sie können sich ganz leicht die passenden Fragen zusammenstellen, wenn Sie diesem einfachen Bauplan folgen:

  • Thema aus Kundensicht plastisch machen und
  • Offene, ehrliche Fragen kundengerecht stellen.

Hier ein paar Beispiele:

„Angenommen, wir sprechen über die Optimierung Ihrer Ausgangsfrachten: Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten drei Prioritäten, was liegt Ihnen am Herzen?“

„Wenn Sie jetzt an die Leistungsfähigkeit Ihrer Vertriebsmannschaft denken, insbesondere im internationalen Vergleich: Welche Punkte sind wichtig? Worauf kommt es Ihnen persönlich an?“

„Sprechen wir über die Frage, wie Sie den Krankenstand in Ihrem Unternehmen und die dadurch bedingten Engpässe in den Griff bekommen:  Welche Ansätze sehen Sie? Was fühlt sich für Sie nicht gut an?“

Das Prinzip ist sicher schon klar geworden. Lassen Sie uns nun die einzelnen Bestandteile der Fragekonstruktion etwas genauer betrachten.

Fokus – Fakten – Emotion

Der erste Teil der Frage soll den Blick des Gesprächspartners auf das Thema lenken. Dabei hilft es, wenn Sie seine Perspektive berücksichtigen. Es geht also nicht einfach nur um „Ausgangsfrachten“, sondern es geht um „Ihre Ausgangsfrachten“.  Um die Fantasie zu beflügeln, lohnt es sich außerdem, bewusstseinserweiternde Formulierungen zu verwenden. Dabei handelt es sich um Formulierungen wie „Angenommen …“, „Stellen wir uns vor …“, „Wenn Sie an … denken…“.

Der zweite Teil ist eine offene Frage, auf die Sie wirklich eine Antwort gebrauchen können. Kombinieren Sie rational geprägten Fragen und emotional, intuitiv geprägte Fragen in einem Satz. Rational geprägte Fragen richten sich nach den Prioritäten, Auflistungen und Argumenten. Emotionale Fragen zielen eher auf Befindlichkeiten, Gefühle und Sichtweisen ab.

Achten Sie darauf, dass Sie nicht nur eine Problemfrage stellen, sondern mehrere. Und vor allem: Stürzen Sie sich nicht gleich auf das erste Problem, das der Kunde nennt, denn es ist fast nie das wichtigste. Notieren Sie sich stattdessen das Gesagte, wiederholen Sie es kurz und stellen Sie dann weitere Fragen: „Ich habe mir notiert, Punkt xy ist ein problematischer Aspekt. Was fällt Ihnen darüber hinaus noch ein …?“ Sammeln Sie auf diese Art einige Aspekte des Problems, bis Sie ein wirklich gutes Verständnis der Kundensituation entwickelt haben.

Auf den ersten Blick wirkt dieses Vorgehen unnötig kompliziert. Es gibt jedoch einen guten Grund dafür: unser Gehirn und seine Funktionsweise. Der renommierte Wissenschaftler und Nobelpreisträger Daniel Kahnemann erklärt in seinem Buch „Schnelles Denken. Langsames Denken“ unsere beiden Denksysteme. Das schnelle intuitive Denken scheint von alleine und mühelos zu funktionieren. Das langsame Denken brauchen wir zum Lösen kognitiver Aufgaben wie zum Beispiel: „Wie viel ist 311 multipliziert mit 21?“

Weil die meisten Menschen dazu tendieren, intuitiv zu denken – selbst dann, wenn ein rationales Lösungskonzept besser geeignet wäre – formulieren wir unsere Frage mit beiden Untertönen. So wird sie einfacher zu beantworten.

Bedarfsanalyse ist nicht spontan

Gehen Sie davon aus, dass Sie auf die erste Frage dieser Art keine gute Antwort bekommen. Warum? Weil der Kunde vermutlich noch nicht intensiv über sein Problem nachgedacht hat und es deshalb auch nicht in allen Aspekten darlegen kann. Vielleicht wird das anhand des folgenden Beispiels klar.

Nehmen wir an, ich habe diese Fragetechnik bei einem meiner Kunden angewendet. Es handelt sich dabei um den Geschäftsführer eines Beratungsunternehmens. Er denkt darüber nach, seine Partner bei der Aufgabe zu unterstützen, die ungeliebte Akquise methodischer und erfolgreicher durchzuführen. Er sitzt mit mir in einem Raum und wir haben den Smalltalk bereits erledigt. Dann stelle ich die erste Frage:

„Wenn Sie jetzt an die Akquise-Kompetenz Ihrer besten Berater denken: Was sind für Sie die wichtigsten Prioritäten? Was liegt Ihnen am Herzen?“

Nehmen wir an, er denkt kurz nach und antwortet:

„Wir müssen unsere Neukundenquote steigern, und zwar deutlich.“

Ich mache mir Notizen zu seiner Antwort, blicke dann wieder hoch und frage erneut: „Ok. Und darüber hinaus, wieder mit Blick auf die Akquise: Was sind weitere wichtige Punkte? Was läuft noch nicht so richtig rund?“

Er denkt etwas länger nach und sagt:

„Meine Leute scheuen davor zurück, außerhalb ihres Netzwerks aus Alumni zu akquirieren, obwohl es so einfach wäre, Kunden anzusprechen, die ähnliche Probleme haben wie unsere bestehenden Kunden.“

Ich mache mir wieder Notizen und wiederhole die Frage mit leichten Varianten in der Formulierung immer wieder. Darauf bekomme ich immer neue Antworten:

„Die Lead Time ist viel zu lang. Wir brauchen heute etwa sieben Monate von der ersten Kontaktaufnahme bis zur Entscheidung. Ich bin sicher, dass wir das auf vier Monate verkürzen könnten.“

„Unsere Angebotsquote ist zu schlecht. Wir schaffen nur weniger als 50 Prozent Annahmequote.“

„Wenn wir monatelang an einem Deal gearbeitet haben, müssen wir noch durch den Einkauf. Dort opfern wir dann wesentliche Anteile unserer Deckungsbeiträge – aus Angst, den Auftrag zu verlieren, in den wir so viel Zeit gesteckt haben.“

Schluss mit Fragen

Nach der fünften Frage erkenne ich an der Körpersprache des Geschäftsführers, dass er im Moment keine weiteren Fragen mehr hören will. Ich blicke auf meinen Notizblock, wo ich alle Antworten mitgeschrieben habe. Ich sage:

„Danke für Ihre offenen Worte. Ich habe mir die folgenden Punkte notiert.“ Dann gebe ich meine Notizen in meinen Worten wieder. Im Anschluss frage ich: „Von den genannten Punkten – welcher davon scheint Ihnen aus heutiger Sicht der wichtigste zu sein?“

Der Geschäftsführer blickt an die Decke und sagt: „Ich denke, die Lead Time ist unser größtes Problem. Wenn wir das lösen können, sind wir einen großen Schritt weiter.“

Diese einfache Methodik können Sie auch umsetzen.

– Zunächst stellen Sie Fragen nach dem Muster Fokus-Fakten-Emotion.

– Sie machen sich Notizen.

– Sie fragen immer weiter, bis der Kunde zeigt, dass er genug Fragen gehört hat.

– Dann lesen Sie die Punkte als Zusammenfassung vor und fragen: „Welcher dieser Punkte scheint Ihnen aus heutiger Sicht am wichtigsten?“ Die Formulierung „aus heutiger Sicht“ vereinfacht die Antwort, weil es dann weniger nach einer „Prüfungsfrage“ klingt.

Bedarfsanalyse mit System

Wenn Sie sich an diese einfachen Schritte halten, werden Sie mit sehr großer Wahrscheinlichkeit in jedem einzelnen Gespräch ermitteln können, was aus Sicht des Entscheiders wirklich wichtig ist. Sie werden sich auf eine gemeinsame Formulierung für das Problem einigen und bekommen dadurch die wichtigste Voraussetzung für ein annehmbares Angebot: eine aus Sicht des Kunden zutreffende Schilderung des Problems.

Es lohnt sich, das Konzept ein wenig tiefergehender zu untersuchen. Sie können es an Ihre Geschäftsmodelle und Kundensituationen anpassen. Dafür habe ich ein E-Book für Sie zusammengestellt, das alle relevanten Teilschritte der Bedarfsanalyse in Verkaufsgesprächen genau aufschlüsselt und die passenden Werkzeuge zur Unterstützung Ihrer Arbeit mitliefert. Sie können es mit einem Klick anfordern.