Hat sich die voranschreitende Digitalisierung bereits auf die Kundenakquise ausgewirkt? Ist das viele Gerede über das digitale Zeitalter nicht längst ein überdrehter Hype, der wenig mit der Realität zu tun hat? Schließlich werden Geschäfte noch immer zwischen Menschen gemacht.

Gerade im B2B – also bei Geschäften zwischen Unternehmen – wird es wohl kaum eine ähnliche Entwicklung geben, wie im Privatkundengeschäft, das heute bereits von Amazon & Co. dominiert wird.

Trügerische Sicherheit der etablierten Unternehmen

Es war vor ein paar Monaten, als ich einen Vortrag über die Digitalisierung vor einem Branchenpublikum hielt. In der Pause nach meinem Vortrag stand ich mit einigen der geladenen Geschäftsführer an einem Stehtisch. Alle Teilnehmer waren Führungskräfte aus den Bereichen Spedition, Hafen und Reeder, die Großfrachten wie Seecontainer und Schüttgut beförderten.

In dieser Runde klopfte mir ein gesitteter Herr väterlich auf die Schulter und sagte: „Was Sie da über die Digitalisierung im Vertrieb gesagt haben, betrifft uns nicht. Container bucht man nicht im Internet. Dazu braucht man einen Dialog mit einem Speditionskaufmann – anders ist das nicht vorstellbar.“

Ich sah in die Runde und fragte: „Darf ich Ihnen drei Fragen stellen?“ Sie nickten und ich fragte: „Wie haben Sie Ihre Übernachtung hier am Konferenzort gebucht?“ Alle bis auf einen, der nach Hause fahren wollte, nannten Online-Hotelportale. „Wenn Sie nicht mit dem Auto hier sind: Wie haben Sie ihr Flug- oder Bahnticket gebucht?“ Und wieder sagten alle wie selbstverständlich „online“.

Und dann stellte ich die dritte Frage: „Und glauben Sie wirklich, dass es so ein großer Unterschied ist, einen Seecontainer von A nach B zu buchen?“ Schweigsame Stille. Ich sagte: „Es ist nicht die Frage, ob es so einen Service geben wird. Die einzige Frage ist, wer ihn zuerst am Markt etablieren wird, denn dass es für Kunden nur Vorteile haben wird, ist der Garant dafür, dass es kommen wird.“

Wenn es bequem, einfach und kostengünstig ist, wird es sich durchsetzen

Die vielen Marktverschiebungen der letzten Zeit, die vor allem im Umgang mit Privatkunden jede Menge Geschäftsmodelle revolutioniert oder zumindest deutlich verändert haben, sind Zeuge der Veränderung durch digitale Kommunikationswege.

In der kommenden dreizehnteiligen Artikelserie werde ich Sie nicht mit ausschweifenden Zukunftsvisionen langweilen. Sie bekommen jedoch praxisgerechte und sehr konkrete Anregungen, wie Sie bereits verfügbare Werkzeuge nutzen können, um die Kundenakquise für Ihr Unternehmen zu verändern.

Viele Trends sind heute bereits Realität geworden. Einige wirken sich auf den Vertrieb aus. Beginnen wir mit diesen wichtigen Trends:

Trend Nummer 1: kostenlos und sofort

Das Internet hat die Kosten für die Vervielfältigung und Verteilung von Bildern, Text, Musik und Videos nahezu auf Null gesenkt. Es ist daher möglich, nahezu kostenlos an Informationen zu gelangen, egal in welcher Form sie vorliegen.

Und es gibt keine Wartezeiten mehr, weil nahezu jeder inzwischen mit einem Smartphone ausgestattet ist und somit in jeder Situation das gesammelte Wissen der Welt nutzen kann. Als Bill Gates 1995 seine Vision der „Information at your fingertips“ für das Jahr 2005 verkündete, war es noch pure Utopie. Auch wenn es letztendlich noch einige weitere Jahre dauerte, diese Vision zu erfüllen – heute ist sie Realität.

Das führt zu einer stark veränderten Erwartungshaltung: Alles muss sofort und kostenlos verfügbar sein. Diese Forderung wird von vielen als unerfüllbare Bürde gesehen. Allerdings ist es in Wirklichkeit eine mächtige Chance, um Interesse zu finden und an Unternehmen und Marken zu binden.

Kundenakquise durch wertvolle Information

Noch in den 90er Jahren war Information Mangelware. Durch diese Knappheit bekam sie einen gewissen Wert. Heute ist Information im Überfluss vorhanden. Kaum jemand sehnt sich nach einem Brief oder einer E-Mail. Zeitschriftenabonnements sterben aus. Die Information wird nicht mehr verteilt, sondern nach Bedarf abgerufen. Nicht mehr der Engpass der Medien steuert die Verteilung von Nachrichten und Inhalten, sondern das Interesse der Empfänger.

Dieses veränderte Verhalten wurde ermöglicht durch Suchmaschinen und vor allem Google.

Kunden suchen sich Informationen selbst

Die Summe der weltweiten Ausgaben für Werbung wird für das Jahr 2016 auf 500 Mrd. US$ angegeben. Rund 80 Mrd. US$ davon fallen auf Werbung bzw. Kundenakquise in der Suchmaschine von Google. Damit dürfte Online-Werbung spätestens 2018 mehr Umsatz realisieren als sämtliche Fernsehsender weltweit an Umsätzen für Fernsehwerbung erlösen.

Nehmen wir diese enormen Zahlen als Indiz, dass Kunden sich über die Suche im Internet informieren und Unternehmen im Umfeld dieser Recherchen ihre Werbung platzieren wollen.

Viele Unternehmer haben ernüchternde Erfahrungen mit Online-Werbung gemacht. Das liegt vor allem daran, dass sie den Wandel im Verhalten der Menschen hinsichtlich der Informationsbeschaffung nicht ausreichend berücksichtigt haben. Menschen, die einen Informationsbedarf haben, wollen nicht sofort mit Kaufangeboten überfallen werden. Sie wollen eine Antwort auf ihre Frage.

Dies kann ein Produktangebot sein, jedoch wird das in den meisten Fällen nicht die Antwort sein. Wenn Sie nach „Wie bindet man eine Fliege“ suchen, weil Sie auf einer Hochzeit als Trauzeuge geladen sind und Sie noch nie eine gebunden haben, dann ist das letzte, was Sie jetzt brauchen, ein Sonderangebot das Ihnen zwei Fliegen zum Preis von einer anbietet.

Interesse als Motor der Kundenakquise

Sie nutzen vorhandenes Interesse, um Bekanntheit zu bewirken, dann bewirken Sie durch Beantwortung von Fragen eine gewisse Sympathie und – weil sich das konsistent wiederholt – entsteht schließlich eine Beziehung. Diese Abfolge ist natürlich. Auch wenn an den Übergängen von der Bekanntheit zur Sympathie und schließlich der Beziehung einige Kontakte aussortiert wurden, weil das Interesse doch nicht so stark ist, kann man diesen Verlust auch als Veredelung betrachten.

Letztlich bewirken kostenlos angebotene wertvolle Informationen Bekanntheit. Manche der Interessenten werden vermehrt den Service nutzen und aus der Verlässlichkeit der konsistenten, wertvollen Information entsteht für einige Interessenten Sympathie. Und eine weitere Auslese ergibt schließlich wenige Interessenten, die sogar schon eine gewisse Beziehung zur Marke entwickeln. Wenn Sie meine Beiträge schon eine gewisse Zeit konsumieren, sind Sie selbst der beste Beweis für diesen Trend.

Dass sich auf der Basis von Beziehungen gute Geschäfte realisieren lassen, ist wirklich jedem bekannt, der ernsthaft und erfolgreich im Business steht.

Trend Nummer 2: Asynchrone Kommunikation

Zeit ist ein wertvolles Gut, weil es knapp ist. Moderne Werkzeuge des Arbeitsalltags – allen voran Computer und Smartphone – haben unsere Art zu arbeiten massiv beeinflusst. Wir sind optimiert bis an die Grenze des Möglichen.

Gemeinsame Zeit ist schwer zu planen. Wenn Sie schon einmal versucht haben, beispielsweise zehn Freunde zu einem gemeinsamen Grillnachmittag zu organisieren, dann wissen Sie, wie schwer das ist, weil immer einer in Urlaub, auf Reisen oder sonstwie verhindert ist. Mehrere Menschen gleichzeitig in einen Raum zu bringen ist schwer.

Tagesschau ist nicht um acht sondern immer

Das wird unterstützt durch digitale Medien. Wenn es noch vor wenigen Jahren so war, dass Sie die Nachrichten um acht entweder live mitbekommen, oder verpasst haben, dann können Sie heute jederzeit die Tagesschau der letzten Tage online ansehen.

Kein Wunder, dass sich asynchrone Kommunikationsmedien wie WhatsApp, Facebook Messenger oder schlicht SMS so schnell durchgesetzt haben. Inzwischen kommen Sprachnachrichten über diese Kanäle hinzu und sogar Video-Botschaften sind fast schon langweiliger Standard.

Kommunikationskultur in der Kundenakquise

Wir Verkäufer dürfen deshalb an unseren asynchronen Fähigkeiten arbeiten. „Beschaffe mir einen Termin beim Entscheider und ich kann verkaufen!“ Schön. Aber was ist, wenn Du den Termin nur bekommst, wenn Du einen guten Text verfassen kannst? Oder wenn Du eine exzellente Nachricht auf der Mailbox des Entscheiders hinterlassen kannst? Oder gar wenn Du eine Video-Botschaft per LinkedIn sendest?

Zukunftsmusik? Vielleicht. Aber wenn ich mit meinen Kindern sprechen, die jetzt gerade als Berufsanfänger aus dem Studium starten, ist eines klar: Wer asynchrone Kommunikation nicht beherrscht, der wird nicht ernst genommen.

Daraus ergeben sich für die Kundenakquise einige Änderungen, die ein wenig auch den ersten Trend des kostenlosen und sofortigen Informations-Appetits betreffen: Menschen senden Botschaften digital und erwarten verbindliche Antworten – legen sich aber nicht verbindlich fest. Und damit sind wir schon beim nächsten Trend:

Trend Nummer 3: Flexibel und Vielleicht

Wenn Sie vor 1980 geboren sind, dann haben Sie sich als Teenager auch noch in der Schule mündlich zum Kino am Abend verabredet und dann war man da. Allenfalls war es möglich noch am Nachmittag telefonisch Änderungen zu besprechen, aber das war aufwändig.

Heute kann man sich noch Minuten vor dem Termin anders entscheiden und alle per WhatsApp informieren. Flexibel. Vielleicht schaffe ich es.

Das hat sich auch im Geschäftsleben ausgewirkt. Zum Beispiel in meinem. Wenn es noch vor 10 Jahren normal war, dass Veranstaltungen, Seminarteilnahmen und Termine sechs oder mehr Monate im Voraus gebucht wurden, ist es heute Standard, dass Teilnahmen an Veranstaltungen zu etwa 50% in der letzten Woche vor dem Termin gebucht werden. Das dürfen wir als veränderte Realität akzeptieren.

Verkäufer dürfen daher noch besser verstehen, wie man Verbindlichkeit bewirkt. Nach wie vor werden Entscheidungen getroffen. Allerdings nur dann, wenn wir müssen – oder denken, dass wir müssen. Im vergangenen Themenschwerpunkt zur Vertriebspsychologie haben wir dazu bereits einige Anregungen geliefert.

Trend Nummer 4: Big & Small Data

Gehen wir 20 Jahre zurück. Mitte der 90er Jahre. Einige Unternehmen haben bereits eine „Homepage“. Gängiges Kommunikationsmedium war das Telefax. Google war noch nicht gegründet.

Stellen wir uns vor, damals wäre es möglich gewesen festzustellen, wer die versendeten Telefaxe gesehen hat und wer nicht. Wer tatsächlich interessiert war und wer nicht. Meine Großmutter lebt schon lange nicht mehr, aber vermutlich hätte ich erwogen sie zu verkaufen, wenn ich damals an diese Information hätte gelangen können.

Oder nehmen wir an, damals hätte jemand angeboten, dass Sie alle professionellen Besucher Ihrer Webseite identifizieren könnten. Oder wenigstens, welche Unternehmen sich für Sie interessieren. Beide Großmütter wären auf dem Basar gelandet.

Kundenakquise auf Kosten der Großmütter

Spaß beiseite – heute ist es möglich genau mit diesen Informationen zu arbeiten. Meine Wahrnehmung ist, dass die meisten Unternehmer davon gehört haben, es aber in der Schublade „Science Fiction“ ad acta gelegt haben, obwohl es für die Kundenakquise pures Gold wäre.

Heute ist beides möglich und Sie dürfen ihre Großmutter behalten. Die angesprochenen Informationen bekommen Sie für den Gegenwert weniger Euro – zumeist für weniger als die Tankrechnung eines typischen Außendienstmitarbeiters. Also erschwinglich. Sehr seltsam, dass dennoch die wenigsten Unternehmen damit gezielt arbeiten.

Ehrlich zu sich selbst bei der „Kundenakquise digital“

Laden Sie sich die „ehrliche Selbstbefragung“ als Ergänzung zu diesem Artikel herunter. Bitte seien Sie so ehrlich zu sich selbst, wenn Sie das aushalten können. Beantworten Sie die Fragen dieses PDF für sich leise und im Geheimen. Oder involvieren Sie ihr Team – ganz nach Ihrem Geschmack. Aber stellen Sie sich den Fragen und lassen Sie mich wissen, was für Sie dabei herausgekommen ist.

Fotoquelle Titelbild: © fotolia / Konstantin Yuganov