Manchmal treffe ich auf Menschen, die sind schon angekommen. Sie halten sich für Profis, die in ihrem Fachgebiet nichts mehr hinzulernen können, weil sie ja schon sooooo viel Erfahrung und Wissen haben. Sie sind stehengeblieben, weil es ja keinen Fortschritt mehr für sie gibt.

Stillstand ist der sehr kurze Moment zwischen Tod und Verwesung. Ansonsten ist immer alles in Bewegung. Vielleicht ist der Zustand der „Arriviertheit“ deshalb so traurig, weil er das überheblich dargebotene Gefühl des Angekommenseins beinhaltet. Den Zustand, den der vermeintlich Gescheite selten lange vor seinem Scheitern zur Schau stellt.

Vielleicht erinnern Sie sich an eine Situation, in der Sie dachten, dass Sie gescheit sind? In meinem frühen Verkäuferleben gab es mehrere solcher Situationen. Es gehörte damals zu meinen Aufgaben, so dachte ich, Computer-Fachhändlern die aus meiner Sicht einzigartige Software meines Arbeitgebers vorzuführen, um sie so zu überzeugen. Ich wusste alles darüber. Schließlich hatte ich einen Teil davon mitprogrammiert und danach viele Monate lang im Telefonsupport gearbeitet. Ideale Voraussetzungen für einen Verkäufer. Dachte ich damals.

Dumme Kunden oder schlechte Verkäufer?

Meine Verkaufserfolge waren schlecht. Die Kunden waren einfach zu dumm, um zu verstehen, weshalb unser Konzept schlicht genial war – so dachte ich zumindest damals. Wir hatten einen überwältigenden Marktanteil auf der damals weit verbreiteten Plattform des Commodore 8032/96; nun würden wir das eben auch auf dem gerade erschienenen IBM PC erreichen. Schließlich wussten wir, wie man Software für Auftragsbearbeitung, Finanzbuchhaltung und Lohnabrechnung in Deutschland an den Mittelstand verkauft. Alles ganz einfach also.

Das Unternehmen war 1983 eine der ersten hoffnungsvollen Computerfirmen Deutschlands und wenig später pleite. Als junger Schnösel hat mich das sehr geprägt. Gerade noch großer Erfolg und dann den Scherbenhaufen aufkehren. Ich trug meinen Teil der Verantwortung am Scheitern: Ich war arriviert. Das hat mir eines meiner Vorführ-Opfer kurz vor dem Untergang mehr als deutlich vor Augen geführt.

Es war der resolute Geschäftsführer eines PC-Händlers in Lohne, Westfalen. Ich hatte nach langer Anreise meinen mitgebrachten PC im Besprechungszimmer des Händlers aufgebaut und war bereit, mein Vorführkonzept durchzuziehen. Damals gab es noch keine tragbaren Computer, also bin ich mit einem Original IBM-PC in einem Samsonite-Koffer samt dem dazugehörigen Monitor in einer riesigen gepolsterten Sporttasche dort angereist. Ich durfte meinen Technik-Zirkus aufbauen und habe dann der Assistenz des potenziellen Vertriebspartners Bescheid gesagt, dass ich bereit bin. Als der Geschäftsführer kurz darauf den Raum betrat, setzte er sich ruhig hin und sagte: „Junger Mann, dann legen Sie mal los.“ Und das tat ich! Inzwischen war ich wirklich routiniert und konnte fast blind mit der Software umgehen. Wie ein Klaviervirtuose wendete ich mich dem Bildschirm und der Tastatur zu und begann mit meiner Software-Symphonie. Nach 90 Minuten drückte ich die letzte Taste zum Schlussakkord und sah ihn erwartungsfroh und – wie ich heute weiß – sicher ein wenig überheblich an. Er wartete einen Moment, stand seufzend auf, sagte: „Schade. Nicht zu gebrauchen“, und ging.

Verbockt? Wichtige Erfahrung für’s Leben!

Ich würde einiges dafür geben, ein Foto mit meinem Gesichtsausdruck von damals sehen zu können. Ich hatte es verbockt und wusste nicht warum. Auf der Fahrt zurück nach München hatte ich viele Stunden Zeit, um darüber nachzudenken – aber ohne Ergebnis, denn die Erkenntnis kam erst viel später.

Heute weiß ich, dass ich ein miserabler Verkäufer war. Ich dachte damals, dass ich ein tolles Produkt hatte und es nur auf bestimmte Weise vorführen musste, um andere zu überzeugen. Das Produkt war ja so toll, da musste man nur dafür sorgen, dass die laienhaften Kunden das auch verstehen. Die dummen Kunden schlau machen – so habe ich wohl damals wirklich gedacht. Aber das hat nur selten zum Erfolg geführt. Vielleicht hat dieses Erlebnis mit dem Geschäftsführer in Westfalen den Boden bereitet, um meinen heutigen Lebensunterhalt als Autor, Redner und Trainer zu ermöglichen. Mein Konzept der „Nicht-Präsentation“ wäre sonst wohl nicht entstanden. Es ist eine wichtige Grundlage meiner Arbeit geworden und viele tausend Leser und Seminarteilnehmer berichten mir von ihren Erfolgen damit. Wenn Sie sich auf stephanheinrich.com/starter eintragen, bekommen Sie eine Serie von kostenlosen eBooks zugesandt. Mit dabei sind auch viele Praxistipps für profitable Beziehungen im Business sowie natürlich die Anleitung zur „Nicht-Präsentation“.

Dieser Artikel ist eine Herzensangelegenheit und ein Aufruf, die arrivierten Gedanken methodisch zu entsorgen. Gerade erfolgreiche Verkäufer und Vertriebsorganisationen sind häufige Opfer dieser Verführung, weil sie selten ein klares Feedback und Anregungen zur Verbesserung ihrer Leistungen beim Kunden bekommen. Dabei könnte es so einfach sein.

Spiegel vorhalten

Wenn Sie morgens aus dem Haus gehen und beim letzten Blick in den Spiegel einen Pickel oder eine schlecht sitzende Krawatte entdecken, dann reagieren Sie sofort und korrigieren sich. Was sollte Sie davon abhalten, dieses Verhalten künftig auch für Kundengespräche zu nutzen?

Planen Sie dafür 20 Minuten in jedem Vertriebsmeeting ein. Reihum ist jeder Kollege einmal dran. Jeder bringt eine typische Kundensituation mit, die er in der Zukunft meistern will. Es darf keine bereits vergangene Situation sein, sonst klappt es nicht. Dann übernimmt ein anderer Kollege die Rolle des Kunden und das Gespräch wird simuliert. Die übrigen Beteiligten machen sich ausführlich Notizen, um später Feedback geben zu können. Nach etwa zehn Minuten wird das Gespräch beendet und nun von allen reflektiert. Zuhörer und Beteiligte geben Rückmeldungen. Man kann Kluges ausprobieren, vielleicht scheitern und Fehler machen. Ganz sicher werden alle Anwesenden viel dazulernen. Eventuell haben Sie eine Kamera parat, um dem Protagonisten später ein unbestechliches Feedback als Filmaufnahme zu geben. Das jedoch bitte, ohne es erneut in der Gruppe vorzuführen und zu diskutieren, denn das Betrachten des Films in der Gruppe bringt keinen nennenswerten Erkenntnisgewinn. In Kombination mit dem Feedback der Gruppe ist das elektronische Feedback viel wirksamer, wenn es der Gefilmte später in Ruhe ansieht und seine eigenen Schlüsse daraus ziehen kann.

Wenn ich damals von und mit meinen Kollegen gelernt hätte, wäre ich sicher schon eher auf die Idee gekommen, ganz anders vorzugehen. Lassen Sie sich also nicht davon abhalten, Ihren Kollegen, Mitarbeitern und sich selbst eine Chance zu geben, die ich damals noch nicht kannte: Bei den Kollegen scheitern, um beim Kunden gescheiter zu sein.

Wenn Sie sich noch an die Ausgabe 052 des Podcasts vor zwei Wochen erinnern, dann wissen Sie, dass dieses Prinzip dort ganz ausführlich besprochen wurde. Damit Ihnen nichts mehr entgeht, können Sie sich unter stephanheinrich.com/podcast eintragen. Dann informiere ich Sie immer dann, wenn es neue Inhalte, Arbeitsblätter und andere wertvolle Informationen für Sie gibt.

Was halten Sie von der Methode des „Spiegelvorhaltens“? Welche Hindernisse und Schwierigkeiten sehen Sie? Am besten Sie lassen es mich gleich wissen. Stellen Sie mir Ihre Frage per email oder Telefon auf die Podcast-Frage-Sprachbox unter 0651 360 89 101.

Oder Sie hinterlassen einen Kommentar gleich hier unter diesem Artikel. Ich bin sehr an Ihrer Meinung interessiert. Nehmen Sie sich die 5 Minuten Zeit?