Vertrieb im B2B-Bereich bedeutet, dass Kunden – anders als Privatkunden im Ladengeschäft – nicht kommen und gehen. Vertrieb an Geschäftskunden bedeutet, dass man mehrmals Kontakt mit dem Kunden hat und die Entscheidungen über einen längeren Zeitraum hin getroffen werden. Jeder Verkäufer hat also gleichzeitig eine größere Anzahl an Kunden oder Verkaufsprojekten, um die er sich kümmert.

Die Konzentration und Zuwendung wechselt zwischen verschiedenen Personen und Kunden, noch bevor die einzelnen Kunden jeweils eine Entscheidung getroffen haben. Anders als ein Zahnarzt, der immer nur einen Patienten bedient und erst nach abgeschlossener Behandlung zum nächsten geht, kann der B2B-Verkäufer mit dem Arzt in einer Kurklinik verglichen werden, der täglich von Behandlung zu Behandlung, von Patient zu Patient geht. Hierbei dauert eine Behandlung selbst mehrere Wochen. Patienten kommen und gehen und die Reihenfolge und Intensität der Behandlung hängt von vielen unterschiedlichen Kriterien ab.

Prioritäten im Vertrieb richtig setzen

Es liegt auf der Hand, dass ein Verkäufer, der mit Geschäftskunden zusammenarbeitet, mehrere Kundenprojekte gleichzeitig im Blick haben muss. Das ist komplexer als die sequenzielle Bearbeitung von Kunden. Verkäufer sollten deshalb Ihre Energie bewusst einsetzten und methodisch aufteilen. Jede einzelne Verkaufschance ist ein kleines Projekt, das methodisch von Meilenstein zu Meilenstein weitergeführt wird.

Die einzelnen Meilensteine sind Entwicklungszustände. Am Anfang hat jedes Projekt einen geringen Entwicklungsstand. Es ist noch nicht sicher, ob aus dem Projekt etwas wird. Nach und nach kommen die einzelnen Projekte entweder auf einen neuen Zustand oder sie scheitern.

Die Priorisierung von Geschäftskunden

In der Literatur spricht man von einem sogenannten „Funnel“, dem englischen Wort für „Trichter“. Dieser Begriff hat sich durchgesetzt, weil man die einzelnen Entwicklungsschritte oft als auf der Spitze stehendes Dreieck darstellt. Dieses ist in mehrere Schichten unterteilt. Jede Schicht stellt einen Entwicklungszustand im Verkaufsprozess dar. Die oberen Schichten stellen größere Flächen dar, weil in den oberen Entwicklungsschritten mehr Verkaufschancen anzutreffen sind. Je weiter man nach unten kommt und je enger der Trichter wird, desto weniger Chancen sind in der jeweiligen Schicht zu finden.

Allerdings passt das Bild noch nicht ganz, weil normalerweise alles, was oben in den Trichter gegossen wird, auch unten wieder herauskommen müsste. In der Realität ist das anders, weil nur einige Projekte auch wirklich Früchte tragen und nur einige Geschäfte für den Verkäufer mit einem erfolgreichen Abschluss belohnt werden. Also darf man sich den Trichter so vorstellen: Er ist durchlöchert und oben wird beständig Wasser hineingegossen. Der Füllstand befindet sich immer nah am oberen Rand des Trichters. Durch die vielen Löcher an der Außenseite des Trichters verliert das System andauernd Wasser und nur ein Teil der ursprünglichen Menge fließt unten aus dem Trichter in das Zielgefäß. So kann man sich die Bearbeitung mehrerer Vertriebsprojekte als System vorstellen. Der Erfolg ist die Wassermenge, die unten in das gewünschte Gefäß fließt. Alles, was durch die Löcher der Trichterwand verloren geht, entspricht jenen Verkaufschancen, die im Verlauf der Verhandlungen nicht zum Kunden werden.

Prioritäten im Vertrieb nach Meilensteinen setzen

Wenn man Kaufprozesse beleuchtet und dabei zunächst nur die Entscheidung an sich betrachtet, ohne die besonderen Umstände im B2B, dann könnte man die Entscheidungsfindung in folgenden Entwicklungsschritten festlegen:

Awareness – Aufmerksamkeit

Der Kunde wird auf ein Problem sowie auf die dazu passende Lösung aufmerksam.

Interest – Interesse

Weil die Auswirkungen eines Problems sich bemerkbar machen oder solche unangenehmen Auswirkungen befürchtet werden, besteht Interesse an einer Lösung.

Consideration – In Erwägung ziehen

Der Kunde erkennt, dass ein oder mehrere konkurrierende Angebote in Betracht kommen, um das Problem zu lösen.

Intent – Kaufabsicht

Der Kunde beschließt, dass er investieren will, um das Problem zu lösen.

Evaluation – Eignungstest

Der Kunde prüft, ob eine oder mehrere der angebotenen Lösungen zu seinen Anforderungen passen.

Purchase – Einkaufsverhandlung

Der Kunde beginnt konkrete Einkaufsverhandlungen und will offenbar eine Lösung kaufen.

Win – Kauf

Der Kauf hat stattgefunden und einer der potenziellen Anbieter kann Umsatz verbuchen, wobei in bestimmten Fällen auch der Status Quo erhalten bleiben kann, also keiner der externen Anbieter gewinnt, sondern alles so bleibt wie es ist.

Aus jedem der genannten Zustände kann die Verkaufschance in die nächste Stufe eintreten. Vielleicht geht sie aber auch verloren und nimmt den Status „Lost – Verloren“ ein.

Konsequente Bewertung der Meilensteine

Diese grundsätzliche Abfolge können Sie als Orientierungshilfe verwenden, um Ihren Vertriebsprozess zu planen. Dabei gilt es, diese Punkte zu beachten:

Priorität Nummer eins im Verkauf: Entscheider

Spätestens ab der Stufe „Consideration“ sollte der tatsächliche Entscheider in den Prozess involviert sein. Wenn das nicht der Fall ist, können die Einschätzungen des Anbieters nicht die wahre Intention des Kunden abbilden. Wir alle wissen, dass letztlich die Entscheidung nur dann stattfinden wird, wenn der Entscheider ein Problem erkennt, das relevant ist und dessen Lösung ihm attraktiv erscheint. Unabhängig davon, was die Empfehler, Beeinflusser und Abzeichner wollen oder denken – eine Entscheidung wird nur fallen, wenn der Entscheider eine bestimmte Sichtweise auf die Dinge hat und daraus eine Notwendigkeit zur Investition ableitet.

Deshalb ist es notwendig, dass wir bei Verkaufsprozessen den Kontakt zum Entscheider in einer frühen Phase, also spätestens bei „Consideration“ einbauen.

Priorität auf messbare Ergebnisse statt auf Handlungen

In vielen Verkaufsprozessen findet man einen entscheidenden Fehler: Die Definition der Meilensteine erfolgt durch Aktivitäten. Beispielsweise wird der erfolgte Besuch beim Kunden oder das versendete Angebot als Auslöser für eine höhere Stufe verstanden. Das ist falsch!

Auslöser für eine höhere Stufe kann nur ein sinnvolles und eindeutig (meinungsfreies), feststellbares Faktum sein. Statt: „Besuch beim Kunden“ notieren Sie besser „Entscheider hat sich bereit erklärt, im Beschaffungsprozess weiter mit uns zu gehen und ist in der Lage die Investition zu entscheiden.“

Priorisierung der Chancen im CRM dokumentieren

Manche Unternehmen verwenden ihr CRM (Customer Relationship Management) lediglich als Überwachungssystem für die Verkäufer. Die Mitarbeiter behandeln es als Fremdkörper. Sie denken „Ich muss das für das Reporting ins CRM eingeben“. Besser wäre es, wenn das CRM die Prozesse im Vertrieb so unterstützt, dass die Verkäufer das CRM nicht als Last, sondern als wichtigstes Kommunikationswerkzeug verstehen. Dazu ist es notwendig, dass neben dem CRM-System keine weiteren Management- und Berichtssysteme im Vertrieb gestattet sind. „Was nicht im CRM steht, das existiert nicht“ könnte die Devise lauten.

Das gilt für beide Seiten: Verkäufer müssen alle Inhalte stetig im CRM pflegen. Und das Management benötigt keine weiteren Listen, Auswertungen oder Zahlen außer denen, die als automatischer Bericht aus dem CRM kommen. Wenn ein System nach diesen Kriterien entworfen wird, kann es die Leistung des Vertriebs enorm beflügeln.

Häufige Fehler bei der Priorisierung von Verkaufschancen vermeiden

Aus der praktischen Erfahrung der letzten 16 Jahre als Berater und Trainer im Umgang mit kleinen und großen Vertriebsorganisationen, biete ich Ihnen eine Aufstellung der häufigsten Fehler im B2B-Vertrieb an – selbstverständlich mit Tipps, wie man diese Fehler wirksam vermeidet.

1. Chancen werden falsch eingeschätzt

Verkäufer verlieren bisweilen die Augenhöhe und den Überblick, wenn es um namhafte Kunden oder große Projekte geht. Sie denken „Ich darf beim Kunden präsentieren…“ Daraus entsteht dann schnell ein „Ich muss mich an die Regeln halten, die dort aufgestellt werden…“ Das bedeutet, dass alle Rationalität beim Einschätzen der Erfolgschancen über Bord gehen und wesentlich mehr Zeit als nötig ist in das eine große Geschäft investiert wird.

Dass alle Vorzeichen auf Rot stehen, der Entscheider weder bekannt noch jemals für ein Gespräch zur Verfügung stand, und man schon das dritte abgeänderte Konzept präsentierte – all das wird nicht berücksichtigt. Es geschieht in der Hoffnung, dass alles wunderbar wird, wenn das große Projekt nur endlich kommt. Meistens kommen solche Projekte nicht. Die wenigen Male, die dann doch zum Erfolg führen (zumeist zu unterdurchschnittlichen Erträgen) werden dann schnell als „Beweis“ für den Erfolg des Prinzips „Hoffnung“ herangezogen.

Arbeiten Sie unabhängig von der Größe des Projektes ganz nüchtern Ihre Meilensteine durch. Wenn es keinen Entscheider zu sehen gibt, kann ich nur dazu raten, keine Konzepte oder Angebote zu versenden. Sie wollen doch nur 10 Minuten der wertvollen Zeit des Entscheiders im Tausch gegen viele Arbeitsstunden eintauschen. Wenn das schon nicht gelingt, wie begründet ist dann die Hoffnung auf den großen Auftrag?

2. Tote Pferde werden geduldig zugeritten

Vielleicht kennen Sie diese typischen Aussagen: „Das Thema ist immer noch sehr interessant für uns. Nur im Moment ist Jahresende/Projektstress/Urlaubszeit/Messe. Rufen Sie mich in 3 Monaten noch einmal an …“ Den Spruch kennen Sie so oder so ähnlich, wenn Sie im Verkauf tätig sind. Woran liegt das? Wir treffen ungern Entscheidungen, die einen deutlichen Verlust bedeuten. Wir entscheiden uns dann lieber für eine Alternative, die diffus ist. In der Regel vermeiden wir Entscheidungen, welche die endgültige Trennung oder Beerdigung einer Hoffnung bedeuten.

Die Tatsache, dass ein Patient im Rahmen einer Operation verstirbt, ist keine schöne Nachricht für den Arzt. Sicherlich wird er einige Maßnahmen zur Rettung ergreifen, um das Ableben zu verhindern oder gar eine Wiederbelebung einleiten. Allerdings gibt es einen vorher definierten Fahrplan, um diese Eskalationsmaßnahmen durchzuführen. Es gibt drei, fünf oder vielleicht auch zehn Versuche, den Patienten zurückzuholen. Dann ist die bittere Erkenntnis nicht mehr zu leugnen. Der Arzt trennt sich von der Leiche und wendet sich wieder den Lebenden zu, die seine Hilfe besser gebrauchen können.

Genau diese vorher festgelegte Prozedur, welche die Anzahl der weiteren Versuche und die Intensität der Interventionen betrifft, sollten Sie vorher für sich und Ihr Team festlegen. Wenn es nicht sein soll, verlegen Sie Ihre Anstrengungen wieder auf andere Kunden. Und erst viel später, wenn Sie keine anderen Ideen für die Akquise mehr haben sollten, können Sie erneut bei dem ehemaligen Nichtkunden neu ansetzen, um zu sehen, ob er aufgrund neuer Umstände inzwischen wieder ein potentieller Kunde geworden ist.

3. Die wichtige Frage wird nicht gestellt

Wenn Sie etwas herausfinden wollen, dann sollten Sie offene Fragen stellen. Wenn Sie jedoch eine Entscheidung wollen, sind geschlossene Fragen besser. „Willst Du mich heiraten“, ist eine geschlossene Frage. Als Antwort bekommen Sie ein „Ja“ oder ein „Nein“. Und falls Sie jetzt denken, dass auch „Vielleicht“ als Antwort möglich wäre, muss ich Ihnen sagen, dass „Vielleicht“ in diesem Fall ein freundliches „Nein“ bedeutet.

Schnell wird klar, dass die Frage nach der Heirat in einem Flirt kaum zu Beginn gestellt werden sollte. Ebenso ist es im Umgang mit Geschäftskunden kaum ratsam, gleich zu Beginn eine Abschlussfrage einzuplanen. Aber sobald eine Entscheidung möglich ist, sollten Sie den Schritt wagen und die Frage nach dem Abschluss einbauen. Setzen Sie sich gleich zu Beginn der Verkaufsverhandlungen ein Verfallsdatum in der Zukunft. Das kann drei, neun oder auch achtzehn Monate in der Zukunft liegen. Nach diesem Datum dürfen Sie den Kunden für mindestens ein Jahr lang nicht mehr aktiv kontaktieren. Keine Anrufe. Keine Besuche. Keine Briefe. Auf diese Weise werden Sie die ungeliebte Konsequenz in Ihren Verkaufsprozess einbauen. Denn eines ist klar: Bevor Sie den Kunden für längere Zeit nicht mehr kontaktieren dürfen, werden Sie die alles entscheidende Frage stellen und ein „Ja“ oder „Nein“ als Antwort bekommen – und das ist gut so!

Priorität #1: Statt verkaufen – Kunden finden

Wenn wir ganz genau hinsehen, ist der Vorgang des Verkaufens ein Trugschluss. Wir leben ja in einem freien Land und können den Kunden nicht zwingen, etwas zu kaufen. Aber wir können die Voraussetzungen dafür schaffen, dass er oder sie die Kaufentscheidung trifft. Und das Ermöglichen der Kaufentscheidung sollte unser Ziel sein. Statt also einen bestimmten Kunden dazu bringen zu wollen, dass er kauft, sollten wir uns darauf ausrichten, die richtigen Kunden zu finden. Jene Kunden, die nach unserer Einschätzung vermutlich kaufen werden, weil sie entscheiden können, weil sie es wollen und erkannt haben, dass es sich für sie lohnt.

Konzentrieren wir uns darauf, die Prioritäten im Vertrieb richtig einzuschätzen. Das gelingt am besten, wenn wir uns an messbare Tatsachen halten. Dann können wir anhand der Fakten besser einschätzen, welche Chancen unsere Aufmerksamkeit verdienen und welche wir besser nicht weiter beachten sollten.

Fotoquelle Titelbild: © fotolia / ra2