Das Werk „SPIN Selling“ des Autors Neil Rackham darf man sicherlich als eines der wesentlichen Standardwerke der Vertriebsliteratur bezeichnen. Dieser Artikel zeigt, wie Sie die Erkenntnisse aus dem Buch nutzen können, um exzellente Verkaufsgespräche zu führen und den wahren Bedarf Ihres potenziellen Kunden zu verstehen.

In seinem Werk schildert Rackham das Ergebnis einer groß angelegten Studie für einen weltweiten Konzern. Es ging darum, zu untersuchen, weshalb nachweislich erfolgreiche Produktverkäufer mit der Aufgabe des Verkaufs komplexer Lösungen und „erklärungsbedürftiger Produkte“ überfordert waren. Damit wurde eine Bewegung begründet, die nicht das Vortragen von Argumenten in den Vordergrund stellt, wie es in den 70er und 80er Jahren populär war, sondern echtes Interesse und Verständnis für den Kunden.

Beim SPIN Selling ging es konkret um die Frage, warum erfolgreiche Kopierer-Verkäufer in einem neuen Geschäftsfeld nicht erfolgreich waren. In der neuen Aufgabe ging es darum, größere und komplexere Projekte an Geschäftskunden zu verkaufen. So konnte Rackham im Rahmen einer Studie auf eine große Datenbasis von etwa 1000 Verkäufern und deren tatsächliche Verhaltensweise während eines Jahres zurückgreifen.

SPIN Selling – Was wirklich darin steckt

Die wesentlichen Erkenntnisse aus dieser Studie sind: Bestimmte Fragen beflügeln den Erfolg des Vertriebs – vor allem dann, wenn es um komplexe Produkte und Lösungen geht. Der Titel SPIN ist ein Akronym, das unterschiedliche Fragen im Verkaufsgespräch bezeichnet.

SPIN bedeutet: Situation – Problem – Implication – Need-Payoff

Auf Deutsch würde ich die vier Begriffe so übersetzen: Ausgangssituation und Fakten, Problem und Veränderungswunsch, Auswirkungen und Handlungsdruck sowie Nutzenerwartung.

Aus diesen vier Begriffen lassen sich typische Fragearten ableiten, die im Verkaufsgespräch mehr oder weniger hilfreich sind. Die Grundlage für das Buch „SPIN Selling“ ist eine Studie, die die Verwendung von den genannten Fragearten mit dem späteren Verkaufserfolg in Korrelation stellt.

Wenn Sie SPIN Selling noch nicht gelesen haben, können Sie es auf ihre To-do-Liste setzen. Allerdings sollten Sie wissen, dass das Werk 1988 veröffentlicht wurde. Vieles hat sich seither verändert, auch wenn die Grundidee nach wie vor mehr als hilfreich ist.

Wie SPIN mit kleinen Anpassungen heute funktionieren kann

Die Methode, unterschiedliche Arten von Fragen zu nutzen und ganz bewusst andere Frage zu vermeiden, ist sehr wirksam. Wenn ich die Teilnehmer in meinen Seminaren frage, welche Methodik sie verwenden, um Verkaufsgespräche zu führen, dann blicke ich oft in ratlose Gesichter. Das ist eine Besonderheit des Vertriebs. Kaum eine andere Abteilung im Unternehmen würde nicht sofort erklären können, nach welcher Methodik sie arbeiten. Buchhaltung, Entwicklung, Personal – in all diesen Unternehmensbereichen ist es normal, nach einer definierten Methodik zu arbeiten.

Im Vertrieb ist es in vielen Unternehmen nach wie vor so, dass keine erkennbare Methodik zum Führen von Verkaufsgesprächen verwendet wird. Das lässt sich jedoch sehr einfach verändern.

Wie man die Fragetechnik von SPIN Selling heute anwendet

Lassen Sie uns die wesentlichen vier Erkenntnisse von SPIN Selling zusammenfassen:

  1. Fragen nach den Fakten und der aktuellen Situation sind schädlich. Vor allem unerfahrene Verkäufer nutzen diese Fragen gleich zu Beginn, weil sie sich damit auf sicherem Terrain wägen. Es ist jedoch für den Kunden eher eine Verhörsituation. Er bekommt Fragen gestellt, deren Antwort er entweder kennt oder nicht. Das ist mindestens langweilig, jedoch vermutlich unangenehm. Vor allem dann, wenn der Kunde zugeben muss, dass er etwas nicht weiß. Daher ist es hilfreich, wenn man Fragen zu den aktuellen Fakten vermeidet und solche erst dann stellt, wenn man diese Information für ein konkretes Angebot benötigt.
  2. Problem-Fragen helfen dabei, den aktuellen Veränderungswunsch des potenziellen Kunden wirklich zu verstehen. Wer versteht, wie man das aktuelle Problem des Kunden findet, der hat bereits einen wesentlichen Teil des Verkaufsgesprächs gemeistert. Allerdings nutzen vor allem unerfahrene Verkäufer geschlossene Fragen, um ein vermutetes Problem abzufragen. Bei Problem-Fragen ist es jedoch absolut notwendig, dass offene Fragen gestellt werden, um wirklich ein Problem zu finden und nicht ein solches zu unterstellen.
  3. Die dritte Sorte von Fragen richtet sich nach den unangenehmen Auswirkungen eines Problems. An dieser Stelle findet der Autor von SPIN Selling einen wesentlichen Grund, warum erfahrene Produktverkäufer kläglich scheitern, wenn es um komplexere Lösungen geht. Selbst die besten Verkäufer von Kopierern scherten sich nicht darum, zu verstehen, welche Auswirkungen ein bestimmtes Problem hat. Stattdessen gingen sie sofort in den Angebotsmodus. Das funktioniert bei simplen Produkten, wenn dem Kunden sofort klar wird wie sein Problem und eine Lösung zusammenpassen. Es funktioniert allerdings nicht, wenn das Angebot eine eher komplexe Zusammensetzung von Produkten und Dienstleistungen ist. Es gelingt dem Kunden im Moment noch nicht, die Lösung des Problems zu erkennen und einen Entschluss zu fassen. Daher ist es entscheidend für den Erfolg, dass Verkäufer es beherrschen, die Auswirkungen und Kosten eines Problems zu hinterfragen.
  4. Die vierte und letzte Kategorie von Fragen richtet sich an die Erwartungshaltung des Kunden. Unerfahrene Verkäufer nutzen einfach die Umkehr des Problems und stellen diese Frage nicht. Sie gehen davon aus, dass der Kunde erwartet, dass das Problem endet – und mehr nicht. Es zeigt sich jedoch, dass erfahrene Verkäufer in der Lage sind, die konkrete Erwartungshaltung des Kunden zu erkennen. Und zwar über die Beseitigung des Problems hinaus. So finden sie ein sehr starkes Kaufmotiv, das später genutzt wird um die „Verschieberitis“ zu vermeiden und zügige Investitionsentscheidungen zu bewirken.

SPIN Selling reloaded – Wie Sie heute clevere Verkaufsgespräche führen können

In den vergangenen dreißig Jahren hat sich viel verändert. Die Gehirnforschung liefert uns neue Erkenntnisse darüber, wie Menschen Entscheidungen treffen. Die moderne Technik hat unser Kommunikationsverhalten verändert. Vielleicht ist es an der Zeit, die neueren Erkenntnisse zu nutzen und auf der Basis von SPIN eine neue Methode zu entwickeln.

Aus SPIN wird VISION

Analog zu dem Akronym von Neil Rackham biete ich Ihnen VISION als Begriff an. Es setzt sich zusammen aus diesen Schlagworten:

  • Veränderungswunsch interpretieren
  • Schmerzen intensivieren
  • operativer Nutzen

Es fällt auf, dass ich die Fragen nach den Fakten aus dem Modell entfernt habe. Das ist sinnvoll, weil Fakten-Fragen im Gespräch mit dem Entscheider nichts zu suchen haben. Und andererseits können nur im Gespräch mit dem Entscheider wirklich gute Verkaufserfolge erzielt werden. Daher empfehle ich Fakten-Fragen allenfalls kurz vor der Angebotsabgabe zu stellen, um die Parameter für das Angebot zu erfahren.

Echtes Verständnis als Credo für moderne Verkaufsgespräche

Für mich beginnt ein Verkaufsgespräch, wenn der Gesprächspartner grundsätzlich Interesse an einem Gespräch hat. Die Vorgeschichte kann sehr unterschiedlich sein. Sie könnten das Gespräch durch eine methodische Kaltakquise herbeigeführt haben. Ebenso könnte das Gespräch zufällig bei einer Begegnung auf einem Kongress entstanden sein. Ebenso könnte es ein Gespräch mit einem Entscheider sein, den Sie schon längere Zeit kennen. Die Vorgeschichte ist irrelevant für die Methodik des Verkaufsgesprächs. Das klingt für viele Verkäufer zunächst verrückt, weil sie Erstgespräche völlig anders empfinden als Gespräche mit langjährigen Kunden. Das ist allerdings nur die individuelle Perspektive des Verkäufers. Weil es beim Verkaufen vor allem um die Perspektive und die Ansicht des Kunden geht, ist es tatsächlich immer gleich – egal wie das Gespräch ursprünglich entstanden ist. Der beste Einstieg in ein Verkaufsgespräch ist dieser Satz:

„Was kann ich heute für Sie tun?“

Wenn Sie Ihr Verkaufsgespräch mit diesem Satz oder einer ähnlichen Formulierung beginnen, werden Sie die besten Ergebnisse erzielen. Dabei ist mir klar, dass Sie auf diese Frage vermutlich keine konkrete Antwort bekommen. Stellen wir uns vor, Sie haben einen Termin beim Entscheider eines potenziellen Kunden. Es gab Vorgespräche. Es gibt eine klare Erwartungshaltung auf beiden Seiten. Und jetzt beginnen Sie das Gespräch mit der Frage „Was kann ich heute für Sie tun?“

Vermutlich wird ihr Gesprächspartner etwas sagen wie „Ich dachte, Sie haben mir etwas mitgebracht.“ Oder vielleicht „Sie wollten doch den Termin.“ Dennoch – oder vielleicht gerade deshalb ist dieser Einstieg so wertvoll. Auch wenn Sie Antworten in diesem Stil erwarten, setzt Ihre Frage einen Rahmen für das Gespräch – nämlich Verständnis. Sie machen dadurch deutlich, dass Sie zum Gespräch gekommen sind, um besser zu verstehen, was genau der Kunde will und eben nicht, um eine Präsentation abzuspulen.

Der beste Einstieg in ein Verkaufsgespräch

Unmittelbar nachdem Sie die Gesprächsrahmen abgesteckt haben, beginnen Sie mit der ersten Frage. Zunächst interessiert uns, welchen Veränderungswunsch der potenzielle Kunde verspürt. Wir beginnen also die Fragetechnik mit einer Problem-Frage. Weil es nicht besonders populär ist, direkt ein Problem anzusprechen, gibt es eine Formulierung, die Sie direkt als Bauplan übernehmen können. Die Frage konstruieren wir aus drei Blöcken:

Zunächst setzen wir einen Fokus, damit der Gesprächspartner sofort erkennt, worauf sich die Frage bezieht. Dann stellen wir eine Frage, die aus den beiden Komponenten Rationalität und Intuition besteht. Diese bewusst gestellte Doppelfrage wirkt deshalb so gut, weil sie unsere beiden Denksysteme anspricht. Eine solche Frage könnte wie folgt lauten:

„Wenn Sie jetzt an die Leistungsfähigkeit Ihrer Vertriebsorganisation denken, insbesondere im Zusammenhang mit dem verstärkten Wettbewerb aus Asien, was sind Ihre allerwichtigsten Punkte, was liegt Ihnen persönlich am Herzen?“

Dadurch wird erreicht, dass ein Fokus gesetzt wird. Das geschieht automatisch durch das Erwähnen der Begriffe. Wenn ich beispielsweise sagen würde, „Denken Sie jetzt nicht an den Eiffelturm“, könnten Sie sich wohl kaum dagegen wehren, an den Eiffelturm zu denken. Deshalb ist zu Beginn der Problemfrage wichtig, dass Sie den Themenbereich festlegen.

Schnelles und langsames Denken – Intuition und Rationalität

Spätestens seit dem Buch „Schnelles Denken. Langsames Denken.“ des Nobelpreisträgers Daniel Kahnemann wissen wir, dass wir zwei Denksysteme haben, die unterschiedliche Wirkungsweisen haben. Die vorgestellte Doppelfrage soll beide Denksysteme ansprechen. So erreichen Sie, dass Sie in kürzerer Zeit besser verstehen, was der Kunde wirklich denkt.

Hier einige Beispiele, wie eine Problemfrage in unterschiedlichen Branchen und Geschäftsfeldern lauten könnte:

„Wenn Sie jetzt an die Sicherheit Ihrer IT-Systeme denken, insbesondere nach den jüngsten Cyberattacken, was sind dabei Ihre wichtigsten Prioritäten, wo sehen Sie noch Bedrohungen?“

„Angenommen, Sie könnten die Stückkosten in Ihrer Produktion entscheidend verbessern – auf welche Kriterien achten Sie am meisten – wo läuft es noch nicht so richtig rund?“

„Wenn Sie jetzt an die Digitalisierung von Prozessen in Ihrem Unternehmen denken und dabei die Machbarkeit und Rentabilität in den Vordergrund stellen – was wären die wichtigsten Faktoren – wo sehen Sie noch nicht so richtig klar?“

Die wichtigste Frage im Verkaufsgespräch

Vielleicht haben Sie bereits erkannt, welche Kraft diese eine Frage in einem Verkaufsgespräch entwickeln kann. Allerdings seien Sie darauf vorbereitet, dass sie nicht gleich zu Beginn das gewünschte Ergebnis liefert. So würde meine Beispielfrage nach der Leistungsfähigkeit der Vertriebsorganisation vermutlich mit einem eher lapidaren Kommentar beantwortet werden. Ich habe es schon oft erlebt, dass diese Frage zunächst eine Antwort bewirkt wie beispielsweise „mehr Umsatz“. Das liegt daran, dass die wenigsten Kunden sich im Vorhinein einen genauen Plan Ihrer Problemsituationen zurechtgelegt haben. Deshalb folgt zunächst eine spontane Antwort.

Ich reagiere darauf so, dass ich mir Notizen mache und die vom Kunden genannte Formulierung wiederhole. Dann blicke ich hoch und wiederhole die Frage erneut mit leichten Abwandlungen: „Prima. Vielen Dank. Und darüber hinaus – was wären weitere wichtige Punkte – wo drückt der Schuh?“

Jetzt erwarte ich neue, weitere Aspekte des Problems. Je öfter ich die Frage wiederhole je mehr Informationen bekomme ich. Ich nutze die Intuition eines guten Verkäufers, um zu erkennen wann ich genug gefragt habe. Dann habe ich möglicherweise 3-7 unterschiedliche Aspekte des Problems notiert und der Kunde hat mir signalisiert, dass er jetzt keine Lust mehr auf weitere Fragen hat. So entsteht eine Liste von wichtigen Aspekten des Problems. Ich lese jetzt die wesentlichen Punkte noch einmal vor und frage dann, welche der genannten Punkte der wichtigste Aspekt sei. So bekomme ich ein sehr gutes Bild auf die tatsächliche Problemsituation.

Der Rest von SPIN – Schmerzen und Nutzen

Für die meisten Gespräche dürfte die Konzentration auf das wahre Problem bereits einen entscheidenden Qualitätszuwachs bedeuten. Wenn Sie das beherrschen, sollten Sie sich mit den nächsten Schritten auseinandersetzen.

Als nächstes stehen noch zwei Aufgaben an, nämlich den Handlungsdruck herauszuarbeiten und die konkrete Zukunftsidee des Kunden zu verstehen.

Diese beiden Aspekte sind besonders wichtig, wenn es um größere Projekte und Investitionen geht. Bei einfachen Produkten ist es ausreichend, das Problem zu verstehen und eine passende Lösung zu präsentieren. Allerdings ist es entscheidend für größere Vertriebsprojekte, dass der Handlungsdruck des Kunden und seine Idee von einer besseren Zukunft genau bestimmt wird. Wenn Sie das unterlassen, werden sie häufig in Entscheidungsschleifen gefangen sein. Kunden tendieren dazu, eine passende Lösung zu einem komplexen Problem nur zu entscheiden, wenn Sie wirklich müssen – und genau verstehen wie die Zukunft sich dann verändern wird.

Das haben wir ausführlich in einem Themenschwerpunkt „Verkaufsgespräch“ behandelt. Wenn Sie tiefer in diese Fragetechnik einsteigen wollen, sind Sie dort gut aufgehoben.

SPIN, VISION und moderner Vertrieb

Wenn Sie denken, dass eine Methodik aus den achtziger Jahren heutzutage nicht mehr gilt, dann würde ich dem nur eingeschränkt zustimmen. Sicherlich kann man einiges überarbeiten und mit den Einflüssen der inzwischen dreißig Jahre abgleichen. Der Fokus auf die Kundenperspektive ist jedoch nach wie vor entscheidend für den Erfolg im professionellen Vertrieb.