Diese Episode ist für Sie, liebe Leser. Ihre Fragen, Themen und praktischen Probleme sollen im Zentrum des Interesses stehen. Bestimmt ist Ihnen aufgefallen, dass ich inzwischen in fast jeder Folge um Ihre Fragen und Themen bitte, damit ich direkt darauf eingehen kann. Wenn Sie sich unter stephanheinrich.com/podcast anmelden, erkläre ich Ihnen per E-Mail, wie das funktioniert.

Lars F. hat einen Beitrag kommentiert und eine konkrete Frage gestellt. Hier sein Text:

Sehr schön und tiefgründig analysiert, Herr Heinrich! „Konkreter Bedarf setzt sich aus zwei Komponenten zusammen,dem Antrieb, ein Problem abzustellen, UND dem Drang hin zu einer neuen Situation, die besser und freudvoller erscheint.“ Aber wie im Beitrag angesprochen: Wie schaffe ich es denn, 99% der Kunden das Problem so offenzulegen, dass der Bedarf von latent zu konkret wechselt? Anders gefragt: Wie bringe ich den Kunden dazu, das Problem abzustellen? Ich sehe bei Auswirkungsfragen immer das Problem, dass diese doch in ihrer Absicht vorhersehbar sind. Natürlich wissen die Kunden über die Auswirkungen Bescheid. Wenn sie, wie in Ihrem Beispiel, nicht in gutes und nachhaltiges Vertriebstraining investieren, verlieren die Kunden dadurch an (möglichem) Gewinnpotenzial. Wie also vorgehen, um diesen Prozess, das Problem, akut werden zu lassen?

Eiweiß zwischen den Ohren

Die schlechte Nachricht zuerst: 100% Marktanteil sind nicht realistisch. Das hat noch nicht einmal Jesus geschafft – und der war bekanntlich ziemlich überzeugend! Akzeptieren Sie, dass Sie es nicht in allen Fällen schaffen werden. Und das dürfen Sie besser früher als später erkennen. Wenn Sie sich zum Ziel setzen, möglichst viele oder gar alle Kunden zu überzeugen, dann werden Sie unter Ihren Misserfolgen leiden. Das wäre vergleichbar mit dem Plan, in einer Disco bei der Sozialakquise immer erfolgreich zu sein. Dann würden Sie die erste Kontaktaufnahme starten, und falls Sie nicht sofort erfolgreich sind, weil ihre Auserwählte heute nicht mit Ihnen sprechen will, dann wären sie hartnäckig. Sie würden sich voller Zuversicht bei erkennbarer Aussichtslosigkeit auf diese Person fixieren. Sie würden immer jämmerlichere Anbahnungsversuche starten, bis schließlich am frühen Morgen die Musik aus- und das Licht angeht. Dann müssten Sie feststellen, dass Sie immer noch alleine sind. Sie haben nämlich alle anderen Chancen ignoriert, weil sie unbedingt Erfolg haben wollten.

Was wäre die bessere Alternative? Stellen Sie sich vor, Sie hätten eine ganz andere Taktik, weil Sie mental stärker sind. Weil Sie den Eiweiß-Klumpen zwischen Ihren Ohren beherrschen, statt sich von ihm beherrschen zu lassen. Sobald es losgeht, treten Sie auf Ihren ersten Wunschkunden zu, und Sie zeigen ihm oder ihr, was Sie für ihn tun können. Wenn Sie kein Interesse finden, treten Sie lächelnd einen Schritt zurück und wenden sich sofort dem nächsten Wunschkunden zu. Und wenn das auch nicht klappt, dann dem nächsten und immer weiter, bis Sie alle Wunschkunden durchgearbeitet haben. Vermutlich werden Sie noch nicht bei der letzten Chance angelangt sein, bis Sie zum Abschluss oder wenigstens zum „Termin“ kommen. Diese Vorgehensweise wäre sicherlich erfolgreicher. Da stellt sich die Frage, warum das nicht „Best practice“ ist – in der Disco ebenso wie im Business.

Meine Erklärung: Die meisten Menschen hassen Zurückweisung. In Folge 055 – Drei Fragen, die bei der Neukundengewinnung immer wieder gestellt werden  habe ich schon erklärt, dass in unserem Genpool nur noch Menschen sind, die erfolgreich verhindert haben, vom Clan ausgestoßen zu werden. Die Ausgestoßenen sind längst schon dem Säbelzahntiger zum Opfer gefallen und konnten keine Nachkommen mehr zeugen. Allerdings ist es in der heutigen Zeit nicht mehr gefährlich, abgelehnt zu werden. Die Todesangst vor Zurückweisung ist nicht mehr zeitgemäß – aber immer noch tief in uns verankert.

Wenn Sie die Angst vor Zurückweisung rational betrachten, können Sie viele Situationen der modernen Vertriebswelt wesentlich besser meistern. Statt zu denken „Oh. Der mag mich nicht“, können Sie sich sagen: „Ok. Heute hat es nicht geklappt. Morgen ist auch noch ein Tag. Dann versuche ich es jetzt woanders!“ Wenn Sie diese Denkweise in Ihre Arbeit einbauen, dann werden Sie seltener in die Hartnäckigkeitsfalle tappen und die einfach zu pflückenden Früchte zuerst sammeln, bevor sie von Ihren Wettbewerbern abgeerntet sind.

Vertriebs-Judo – Die Kraft des anderen für sich nutzen

Gehen wir zurück zur Frage, wie wir dennoch Einfluss nehmen können, um – wenn auch nicht alle – zumindest einige dazu zu bringen, konkreten Bedarf zu entwickeln. Welche Methoden und Werkzeuge stehen uns zur Verfügung? Was können wir als Verkäufer und Berater dazu beitragen, dass die Entscheidung fällt?

Das sind die konkreten Möglichkeiten, die sich aus der Gesprächsführung ergeben:

Schmerzen offenlegen

Niemand will Schmerzen. Deshalb sind diese Fragen selbst bei erfahrenen Verkäufern unbeliebt. Aber in Wirklichkeit sind sie ganz einfach anzuwendende Möglichkeiten, Handlungsdruck zu erzeugen. Werfen wir einen Blick auf den Bauplan für gute Auswirkungsfragen, der aus zwei Komponenten besteht:

  1. Problem kennen

Die Voraussetzung ist, dass Sie die Vorarbeit aus Episode 023 sorgfältig erledigt haben: Sie haben durch Problemfragen mit dem Kunden gemeinsam erarbeitet, was ihn wirklich stört. Einige Formulierungsideen:

  • In unserem Gespräch sagten Sie, dass <Problembeschreibung mit den Worten des Kunden> zur Zeit auf Ihrer Prioritätenliste ganz oben steht.
  • Aus Ihrer Sicht ist <Problembeschreibung mit den Worten des Kunden> im Moment ein dringender Punkt.
  • Sie sagten, dass <Problembeschreibung mit den Worten des Kunden> einer der Gründe ist, weshalb wir hier über eine Lösung nachdenken.
  1. Schmerzen finden

Sie wissen längst, dass ein Problem noch lange nicht garantiert, dass auch in eine Lösung investiert wird. Damit etwas geschieht, muss ein gewisser Handlungsdruck bestehen. Einige Formulierungsideen:

  • Wenn ich Ihnen jetzt verrate, dass viele Unternehmen in der <Branchenbezeichnung des Kunden> diese Art von Problem verspüren. Weshalb wollen Sie gerade jetzt etwas dagegen unternehmen?
  • Es ist sicher keine Überraschung, wenn ich behaupte, dass viele Entscheider in der <Branchenbezeichnung des Kunden> mit diesem Problem leben. Was bringt Sie dazu, jetzt die Initiative zu ergreifen?
  • Branchenkenner wissen, dass die <Branchenbezeichnung des Kunden> sich im Moment auf breiter Front mit ähnlichen Problemen auseinandersetzt. Was bringt Sie dazu, kurzfristig in eine Problemlösung zu investieren?

Wenn Sie aus diesen beiden Teilen gute Auswirkungsfragen zusammenstellen, wird das dazu führen, dass Sie den Handlungsdruck des Kunden finden. Oft ergibt sich in Gesprächen, dass der Kunde selbst noch nicht den Schmerz erkannt hat. Durch diese ehrliche Form des Interesses werden Sie erreichen, dass der Schmerz für den Kunden wahrnehmbar wird. Was vorher nie durchdacht wurde, wird plötzlich durch die Frage bewusst. Und dadurch wird der Schmerz oder – weniger dramatisch ausgedrückt – das Handlungsmotiv erst spürbar.

Meine Erfahrung deckt sich nicht mit der von Lars F. Für die meisten Kunden ist die Absicht hinter der Auswirkungsfrage nicht vorhersehbar, wenn die Frage gut gestellt ist. Eine ehrliche, offene Frage ist immer besser für diese Zwecke geeignet als eine geschickt gezwirbelte, geschlossene Frage. Kunden kennen die Auswirkungen ihrer Probleme nicht genau. Zumindest nehmen sie sie nicht bewusst wahr. Diese Art der Fragen ist deshalb sinnvoll, um die Auseinandersetzung mit dem Problem zu beginnen.

Lösungswunsch verstärken

Wenden wir uns jetzt dem „Hin-Zu“-Motiv zu. Wie kann man gute Fragen entwerfen, die den Drang nach einer besseren Welt verstärken? Wie kann man darauf einwirken, dass der Kunde sich die Lösung herbeiwünscht? Dazu brauchen wir Fragen, die genau diesen Drang im Kopf des Kunden entstehen lassen. Es hat sich bewährt, dabei diese drei Regeln zu befolgen:

  1. Annahme statt Abfrage 

Formulieren Sie mehr oder weniger fantastische Annahmen, damit die Fantasie angeregt wird. Je verrückter die Annahme, desto freier die Vorstellungskraft. Wenn Sie abfragen würden „was wird sich verändert haben?“, dann bekämen Sie sicher eher vorsichtige Antworten oder gar ein „ich kann doch nicht in die Zukunft sehen“. Aber wenn Sie bewusst den Konjunktiv verwenden und offen lassen, ob es tatsächlich so wird, dann steigt die Bereitschaft, über das Mögliche nachzudenken.

  1. Positiver Fokus 

Die Fragen lenken alle den Blick auf ein „erfolgreiches Projekt“ oder „positive Veränderungen“. Schon die Formulierung der Frage lässt das erwünschte Ergebnis im Kopf des Gesprächspartners entstehen.

  1. Konkrete Zukunft 

Alle Formulierungen betreffen einen konkreten Zeitraum. Obwohl wir eine eher unrealistische Annahme wählen, um die Fantasie anzuregen, verwenden wir eine sehr präzise Aussage zum Zeitrahmen. Das dürfen Sie auch so übernehmen, damit die Antwort des Kunden nicht nur wilde Spekulation, sondern eine auf den Zeitpunkt bezogene, realistische Annahme ist.

Einige Formulierungsvorschläge, die an diesen drei Regeln ausgerichtet sind:

  • „Lieber Kunde, stellen Sie sich vor, ich bin die Waldfee und Sie hätten drei Wünsche frei. Welche idealen Verbesserungen würden Sie sich im Zusammenhang mit <Ihr Nutzenversprechen> für das Jahr 2015 wünschen?“
  • „Angenommen, wir treffen uns heute in einem Jahr wieder und blicken zurück auf ein erfolgreich realisiertes Projekt. Was genau würde sich im Zusammenhang mit <Ihr Nutzenversprechen> für Sie messbar verbessert haben?“
  • „Wenn es so etwas wie eine Zeitmaschine gäbe und wir jetzt Gelegenheit hätten, auf diese Weise einen Blick in die Zukunft zu werfen. Welche positiven Veränderungen könnten wir dann im Zusammenhang mit <Ihr Nutzenversprechen> heute in zwölf Monaten im besten Fall schon sehen?“

Wenn Sie diese beiden Fragetypen nach Ihren Wünschen entwerfen, Ihrem natürlichen Sprachgebrauch anpassen und die Anwendung und Aussprache trainieren, dann werden Sie sowohl den Handlungsdruck als auch den Handlungszug erheblich verstärken. Werden Sie dadurch alle Kunden bekommen? Nicht alle. Aber mehr als heute. Sie müssen es nur tun, denn es passiert nicht von alleine.

Wenn das für Sie hilfreich war, dann freue ich mich über Ihren Kommentar. Und wenn Sie nichts damit anfangen konnten, dann freue ich mich über Ihre Fragen und Verbesserungsvorschläge. Und bitte nehmen Sie sich ein wenig Zeit und bewerten den Podcast auf iTunes. Das kostet Sie vielleicht eine Minute und hilft mir ganz erheblich, diesen Service weiterhin kostenlos anzubieten.

Geben Sie mir Ihre Frage, so wie Lars F. das tat. Am besten gleich jetzt. Ich freue mich darauf, mit Ihnen an realen Fragen und echten Problemen zu arbeiten.