Vielleicht haben Sie ja schon vermehrt von den Begriffen „Hunter“ und „Farmer“ gehört. Auf Deutsch würde man sagen „Jäger“ und „Betreuer“, oder vielleicht Akquisiteur und Bestandskundenbetreuer. Diese Zweiteilung zwischen vermeintlich aggressiven und tendenziell eher harmonischen Typen greift jedoch viel zu kurz.

Wenn Sie sich mit dem in diesem Kapitel vorgestellten Modell von Peter Grimm beschäftigt haben, wissen Sie, dass eine Vierteilung der Realität ein wenig näher kommt. Natürlich könnte man das vorliegende Modell auch noch um eine weitere Dimension erweitern und so vielleicht acht oder gar sechzehn verschiedene Typen und entsprechend viele Geschäftsfeldsegmente erdenken. Dadurch würde man möglicherweise mehr Variationen gewinnen, aber kaum eine bessere Orientierung.

Wir hatten ja bereits darüber diskutiert, dass ein Modell davon lebt, dass es eine gewisse Vereinfachung darstellt. Insofern ist diese Episode mit den darin beschriebenen Verkäufertypen auch eine starke Vereinfachung. Allerdings eine Vereinfachung, die dazu führt, dass wir eindeutige Entscheidungen treffen können, wenn es darum geht, die „richtigen“ Verkäufer für die passende Strategie einzusetzen.

 

Jäger oder Verwalter? Eine Typologie

Der Jäger

Fangen wir diesmal unten rechts an. Dieses Geschäftsfeldsegment ist vielleicht das klarste in unserer Vorstellung. Unten rechts ist der Jäger. Der Jäger ist aggressiv. Er will schnelle Ergebnisse. Er ist motiviert, wenn klar erkennbare Resultate direkt auf seine Aktionen folgen. Er will am liebsten sofort abschließen. Er will sofort Erfolge feiern. Jäger machen keine Gefangenen. Jäger wollen keine Beziehungen aufbauen. Jäger wollen jagen, absch(l)ießen und feiern. Wenn Sie den Hollywood Film „The Wolf of Wall Street“ gesehen haben, dann wissen Sie, was ich meine.

Jäger passen am besten in das Segment unten rechts. Mit ein wenig Anstrengung kann ein Jäger es allerdings auch schaffen, oben rechts beratungsorientiert zu verkaufen. Es kostet ihn Anstrengung. Er muss sich überwinden. Er muss seine sprichwörtliche Knarre im Handschuhfach lassen und zum Kunden gehen ohne sofort zu sagen: „Unterschreibe unten rechts!“ Diese Überwindung kostet Kraft, aber sie ist möglich.

Der Jäger hat wenig Einfühlungsvermögen, auch wenn er denkt, dass er es hat. Er verwechselt sein Beutegespür mit Menschenkenntnis. In der schlimmsten Ausprägung ist er ein Hütchenspieler, der die Menschen kennt und dem es deshalb gelingt, sie zu übervorteilen. In seiner besten Ausprägung ist er der emotionale Verkäufer, der seine Kunden für sich gewinnt, Zweifel überkommt und sie zügig zu einer guten Entscheidung führt. So oder so: Jäger wollen Ergebnisse, jetzt.

 

Der Entwickler

Werfen wir einen Blick auf das Feld oben rechts. Dort finden wir den Entwickler. Er legt besonderen Wert darauf, Kundenbeziehungen zu entwickeln. Er kann beraten. Beraten bedeutet, die Perspektive des Kunden zu verstehen, diese Perspektive einzunehmen, und dann aus eben jener Perspektive die beste Alternative zu ermitteln.

Entwickler lieben komplexe Gespräche. Sie fahren zum Kunden und führen dort ausführliche Gespräche, in denen man wirklich tief in Sachverhalte einsteigt. Fröhlich und erfüllt von einem „guten Gespräch“ fahren sie nach einigen Stunden wieder ins Büro zurück. Dort kann es jedoch sehr gut sein, dass ihnen siedend heiß einfällt, dass sie ganz vergessen haben, nach der Unterschrift zu fragen. Das „Killer-Gen“, das den Jäger auszeichnet, fehlt dem Entwickler komplett.

Im schlechtesten Fall ist der Entwickler ein Entscheidungskiller. Er lebt so sehr in der vermeidlichen Wahrheit der Fakten, dass er die Menschen und deren Entscheidungen vergisst. Alternative über Alternative und Detail über Detail bespricht er gern und gewissenhaft, aber er zerstört damit die Entscheidungsfähigkeit des Kunden. Im besten Fall ist er ein kühler Diagnostiker, der die Probleme des Kunden nüchtern entlarvt und seine Schmerzen gnadenlos zutage fördert. Einer, der die Lösung findet, ohne sie akademisch erklären zu wollen.

Jäger und Entwickler ergänzen sich bestens, weswegen sie sich in der Regel auch gut miteinander verstehen. In vielen Unternehmen ist es üblich, dass Entwickler und Jäger gemeinsam zum Kunden gehen. Das typische Verkäufer-Techniker-Gespann, das gut funktionieren kann, aber eben auch die Vertriebskosten nach oben treibt.

 

Der Kontakter

Nehmen wir uns den Kontakter oder Freund vor. Wie lässt sich dieser beschreiben? Er liebt seine Kunden. Wenn er „meine Kunden“ sagt, dann meint er das mit Besitzanspruch, denn er hat viel in seine Beziehungen investiert: Er weiß alles über seine Kunden, inklusive Geburts- und Jahrestage, Vornamen und sogar Namen der Enkel bzw. Haustiere. Er lebt von den gemeinsamen Erlebnissen mit seinen Kunden. „Weißt Du noch? Damals bei unserem Sommerfest… Wir beide und der Sonnenuntergang. Wie schön …“

Auch wenn ich jetzt ein wenig übertreibe, ist sicher klar, dass der Beziehungsverkäufer die Beziehung zu seinen Kunden über alles stellt. Die Nähe zum Menschen ist seine große Stärke. Auch wenn er Fakten, Details und Formales nicht schätzt – oder gerade deshalb – kommt er mit seinen Kunden menschlich gut klar und kann sie bestens führen.

Die schlechte Ausprägung dieses Rollenverständnis sehen wir in dem untertänigen Vasallen, der seinem Kunden jeden Wunsch von den Lippen ablesen will, ohne dass dieser für den Wunsch bezahlen möchte. Er ist einer, der wegen erhoffter oder ehemaliger Beziehungen permanent Zugeständnisse macht und von künftigen Rückzahlungen träumt. Im besten Fall ist er der Vertraute des Entscheiders, der auch ohne unerlaubte Zuwendung dessen Präferenz ist, wodurch die enge Bindung auf persönlicher Ebene die Stürme des Wirtschaftslebens übersteht. Früher nannte man das im hanseatischen Sinne „Geschäftsfreund“.

 

Der Verwalter

Als letztes Rollenverständnis fehlt uns noch der Verwalter. Er ist es gewohnt, in reifen Märkten zu agieren. Er weiß, dass seine Kunden viele Alternativen haben. Seine Produkte unterscheiden sich nicht wesentlich von denen des Wettbewerbers. Er ist darauf aus, den Bestellvorgang zu optimieren. Kosten sparen will der Kunde und muss auch der Lieferant.

In unserer Welt werden die Verkäufer in diesem Segment durch Maschinen ersetzt. Amazon, Zalando & Co. machen das Rennen in diesem Segment. Warum? Weil der Kunde weiß, was er will und nicht einen Cent zuviel bezahlen will. Dieses Kundensegment ist  – zumindest im Selbstbild –  schlauer als die Anbieter und macht seinen Weg. Die Zeit der Staubsaugerverkäufer ist abgelaufen. Das gilt für B2C, also den Privatkundenvertrieb in diesem Segment. Wie lange wird sich dieses Segment noch gegen die brutale Realität wehren können?

 

Anpassungsfähigkeit hat ihre Grenzen

Grundsätzlich kann man sagen, dass jeder Typus – oder besser: jedes Rollenverständnis – eines Verkäufers beide jeweils benachbarten Bereiche abdecken kann. Es kostet Kraft, das angestammte Feld zu verlassen, aber es ist möglich. Allerdings ist es kaum auf Dauer machbar, in die diagonal gegenüberliegenden Felder zu wechseln.

Schauen wir uns den Gegensatz zwischen Jäger und Beziehungsverkäufer an. Sie hassen sich. Sie denken voneinander, dass der Andere niemals erfolgreich sein kann. Der Jäger hält den Beziehungsverkäufer für ein Weichei und der Beziehungsverkäufer hält den Jäger für skrupellos und egoistisch. Beide sind für ihre angestammten Bereiche ideal. Allerdings dürfte es kaum gelingen, die unterschiedlichen Einstellungen zum Verkauf hinter einer Vertriebsstrategie zu vereinen. Und zwar deshalb, weil es keine gemeinsame Strategie gibt.

Ebenso geht es uns, wenn wir versuchen, Verwalter und Entwickler zur Zusammenarbeit zu bringen. Der Entwickler will die Welt verändern und der Verwalter will Kosten sparen. Das passt auch nicht zusammen.

Jetzt wird deutlich, warum es so schwer ist, in einer Vertriebsorganisation mehrere konkurrierende Strategien abzubilden. Auf dem Papier mag es vernünftig klingen, sich je nach Situation an eine beliebige Kundenhaltung anzupassen und so den Wirkungskreis zu vergrößern. Allerdings findet man in der Praxis kaum Möglichkeiten, die unterschiedlichen Auffassungen von Vertrieb unter einen Hut zu bekommen. Es dürfte kaum gelingen, die zum Teil gegensätzlichen Auffassungen von Kundenbeziehungen zu einem Team zu schmieden.

In der Praxis gibt es viele Beispiele dafür, dass Unternehmen daran gescheitert sind, diagonale Strategie-Schwenks zu realisieren. In der Theorie ist es vielleicht möglich, vom Jäger zum Kontakter zu werden, aber in der Praxis ist diese Art des radikalen Umdenkens noch kaum gelungen.

 

Am Ende dieses Kapitels lohnt es sich, nochmals in Ruhe zu überprüfen, ob alle Aspekte des darin vorgestellten Modells in Ihrer Vertriebspraxis ausreichend Beachtung finden. In welchen Geschäftsfeldsegmenten sind Sie unterwegs? Welche Strategie sollten Sie konsequent verfolgen? Welche Fehler sind wahrscheinlich und wie können Sie gegensteuern? Und schließlich: Welche Einstellung und welches Rollenverständnis müssen Sie haben, um erfolgreich zu sein?

Wenn Sie sich selbst einer unbestechlichen Analyse unterziehen wollen, dann empfehle ich das „Profil Ist-Verhalten Verkauf„. Dann bekommen sie ein klares Bild Ihrer wirklichen Stärken.

Und wenn Sie Ihre Mitarbeiter oder Bewerber professionell analysieren möchten, dann lohnt es sich in das „Aufgabenbezogene Anforderung-Profil“ zu investieren, um das Risiko von Fehlbesetzungen zu verringern.

Im kommenden Kapitel werden wir uns mit verschiedenen Aspekten von Management und Führung im Vertrieb beschäftigen. Das ist auch dann relevant, wenn Sie „nur“ sich selbst führen wollen.